Besonders BochumerInnen dürfen sich diese leidvolle Frage stellen. Auch der Kabarettist Frank Goosen jammert beherzt: „Warum gehen wir denn da immer noch hin?“ Das Aufsichtsratsmitglied des VfL Bochum kennt das Elend, das an der Castroper Straße zurzeit dargeboten wird: Behäbiges Bolzen, rotierender Kader und am Ende graues Mittelfeld in der Tabelle.
Und doch ist Fußball gemeinschaftsstiftend, er prägt unsere Erinnerung oder Anekdoten. Auch in der Literatur. Das bewies zumindest das Kabarettprogramm „Drei Ecken, Ein Elfer“, bei dem neben Frank Goosen auch die Schauspielerin Maria Wolf, der Cartoon-Künstler Oliver Hilbring und die Poetry Slam-Meisterin Sandra da Vina auf der Bühne der gut besuchten Rotunde standen.
Dass Fußball nicht schön sein muss, damit die Literatur dem Volkssport Nummer Eins Platz einräumt, das demonstriert Frank Goosen auch mit seinem jüngsten Roman „Förster, mein Förster“. Um Stadiongespräche über Bier, Klos und das Älterwerden geht es in dem Ausschnitt, den der Bochumer Autor („Liegen lernen“) im frisch renovierten Veranstaltungssaal der Rotunde liest.
Früher alles besser?
Ja, König Fußball ist immer nah am Puls der Zeit. Zuweilen sehr sentimental. Besonders wenn es um Erinnerungen geht. Doch: War früher alles besser? Dieser philosophischen Frage, bei der zwangsläufig immer schon was von Kneipentresenvergänglichkeit und Fankurvenmelancholie mitschwingt, spürt auch Goosen in einer Kurzgeschichte nach. Es geht um die Kindheit in Bochum – und natürlich dreht sich alles um eins: Das Dreschen von Lumpenkugeln und triumphierende Dribblings, leuchtende Schürfwunden vom Ascheplatz und die erfrischende After-Match-Capri-Sonne. „Heute ist Fußball schon bei den Kurzen komplett durchstrukturiert“, sagt Goosen. Doch war früher wirklich alles besser? Lieber Ascheplatz statt Kunstrasen und wie Veteranen mit den Schrammen prahlen? „Das hat was von Opas el-Alamein-Geschichten“, scherzt Goosen.
„Fußball verrät, wer Du bist“
Doch es sind unsere Erinnerungen, die der Fußball so großzügig ausschmückt. In der Kurzgeschichte „Mein Vater, der Weltmeister“, welche die Schauspielerin Maria Wolf vorlas, ist das Bild über den Vater der Ich-Erzählerin vom Warten geprägt. Das Warten, auf den ersten Sieg der polnischen Nationalmannschaft über das DFB-Team. Bis das geschieht, vergehen biographische Schicksalsschläge, viele Spiele oder ein Umzug (ausgerechnet nach Deutschland). Im neuen Jahrhundert geschieht es aber dann: Polen schlägt Deutschland in einem Testspiel.
Die Suche nach der verlorenen Zeit wird auch im Beitrag von Slammerin Sandra da Vina durch das gestiftet, was ihr Opa am liebsten im TV geguckt hat. Erinnerungen mit viel Wohlfühlfaktor. Denn ihre Ich-Erzählerin ist nicht dabei, um den beliebten Ballsport mitzuverfolgen, „sondern nur um Opa und Opa zu gucken.“ Dieses Gemeinschaftsprinzip beschwört die Slam-Meisterin auch in einem Text über beseeltes Rudelgucken. Rückstandsbejammerer, Trikotvollschwitzer, Hobbyschiedsrichter – hier fährt doch Mensch noch aus seiner Haut, weiß die Slammerin: „Fußball verrät, wer Du bist.“ Das kann auch für leidgeprüfte BochumerInnen ein Trost sein.
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