Die Fünfzigerjahre inmitten von gelben Kornfeldern in Deutschland: Eine modisch-moderne Frau steuert ihren Wagen in einen alten Hof. Kühle Begrüßung mit dem Bauern, im Hintergrund versteckt sich ein Teenager und beobachtet die Szene von einer Scheune aus. Während die Frau und der Bauer in der Küche auf ihn warten, lässt sie ihr Leben Revue passieren. Alleine schon dieser Einstieg ist ein wenig anders als in der knapp 500 Seiten starken, millionenfach verkauften Buchvorlage von Julia Franck aus dem Jahr 2007. Bei 136 Minuten Laufzeit muss ein Film große Einschnitte machen. Die Kraft und den Willen der Protagonistin, aber auch die Widerstände in der Gesellschaft nicht in eine Miniserie, sondern einen abendfüllenden Film zu übertragen, ist eine Kunst. Regisseurin Barbara Albert entführt uns in „Die Mittagsfrau“ in die Zeit vor und während der NS-Diktatur: Helenes Mutter ist nach dem Verlust von Vater und Sohn im Ersten Weltkrieg nah am Wahnsinn, während sich die Schwestern Martha und die jüngere Helene mit der gemeinsamen Freundin als romantisches Trio einen optimistischen Schutzwall aufbauen. Als die deutlich jüngere Helene volljährig wird, reisen sie zu ihrer liberalen, reichen Tante nach Berlin. Helene hat große Ambitionen: Sie möchte ihr Abitur nachholen und dann Medizin studieren, während sich die orientierungslose Martha von den freizügigen Partys und den Drogen im Haus der Tante mitreißen lässt. Als Helene den charmanten und einfühlsamen Karl (Thomas Prenn) kennenlernt, kehrt auch bei ihr die Romantik ein. Ihr Ziel verliert sie nie aus den Augen, doch die Schicksalsschläge mehren sich. Drehhbuchautorin Meike Hauck bekommt die erzählerische Fülle des Romans mit gezielten Verkürzungen und Auslassungen sehr gut in den Griff. Barbara Alberts Inszenierung und Filip Zumbrunns Kamera können bei dieser ZDF-Co-Produktion meist die Klischees eines TV-Films umgehen. Dass man auch trotz der großen Zeitspanne Helenes Entwicklung immer glaubt und fühlt, liegt vor allem an der großartigen Mala Emde, die dieses Frauenschicksal stellvertretend für unzählige deutsche und jüdische Frauenschicksale in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts grandios verkörpert.
Mit einer kleinen Reisegruppe fahren Inger, ihre jüngere Schwester Ellen und deren Mann Vagn nach Paris. Dort hatte Inger als 17-Jährige mit dem verheirateten Jacques eine Affäre. Nach dem tragischen Ende der Romanze stürzte Inger in eine Schizophrenie. Seitdem kümmert sich die Mutter um die inzwischen 50-Jährige. Nun reisen die Schwestern ohne die Mutter nach Paris. Ingers Verhalten – mal belustigend, mal bedrohlich für ihre Umwelt – stellt nicht nur Ellen auf die Probe. Christian hingegen, das einzige Kind in der Reisegruppe, ist fasziniert von der Direktheit und Sensibilität der psychotischen Mitreisenden. Regisseur Oplev hat bislang eher skandinavische Thriller verfilmt, zeigt in „Rose – Eine unvergessliche Reise nach Paris“ aber, dass er in dieser berührenden Geschichte mit viel Sensibilität genau die richtigen Töne anschlagen kann.
Der ehrgeizige junge Anwalt Emre ist neu im türkischen Dorf Yaniklar und soll direkt für die anstehende Bürgermeisterwahl instrumentalisiert werden. Als er beim Sohn des amtierenden Kandidaten auf einer Party weilt, wird dort eine junge Romnja brutal vergewaltigt – Emre hat aber aufgrund von vermeintlich in den Raki gemischten Drogen einen Filmriss. Emin Alper („Eine Geschichte von drei Schwestern“) spricht in „Burning Days“ gleich eine ganze Reihe vor allem in der Türkei drängender Probleme an – Korruption in der Politik, rücksichtlose Ausbeutung der Natur, Beharren auf gesellschaftlichen Traditionen und latente Homophobie. Dabei hat er seinen Film dermaßen geschickt inszeniert, dass dieser viel Platz für eigene Interpretationen bietet.
Solidarische Landwirtschaft, das wollen 2011 Daniel und Simon mit der Gründung einer Genossenschaft in Bayern umsetzen. Sie gründen einen Betrieb, der weder Menschen, noch den Planeten ausbeuten will, nachhaltig Tomaten, Gurken, Lauch, Salat, Spinat und natürlich Kartoffeln anbaut und an die Genossenschaftler weitergibt. Über 9 dieser 12 Jahre hinweg begleitet Moritz Springers Langzeitbeobachtung „Das Kombinat“ die Gründer, das Team, diverse Umzüge und Erweiterungen sowie Hochs und Tiefs. Es zeigt sich, wie schwer das antikapitalistische Konzept realisierbar ist – und die Konflikte wachsen wie das Gemüse. Nach dem verflixten 7. Jahr steht das Kombinat am Tiefpunkt und die Gründer vor der Trennung. Vor allem durch die lange Zeit der Begleitung ist der Film interessant, unterhaltsam und spannend.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Laurent Tirards Rad-Komödie „Das Nonnenrennen“, Theo Montoyas gefeierter Dokumentarfilm „Anhell69“, Justin Bensons und Aaron Moorheads schräges Endzeitabenteuer „Something in the Dirt“, Gareth Edwards' Sci-Fi-Actioner „The Creator“, Christian Tafdrups Horrorthiriller „Speak No Evil“, Marc Rothemunds Tragikomödie „Wochenendrebellen“ und Carl Brunkers Animationsabenteuer „Paw Patrol - Der Mighty Kinofilm“.
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