Naima Hamid (wundervoll: Nilam Farooq) zieht den Missmut ihres Professors Pohl (gewohnt bissig: Christoph Maria Herbst) auf sich, als die Erstsemesterin verspätet im Vorlesungssaal erscheint. Eine rassistische Hasstirade bricht über die Muslimin herein, die von anderen Studenten mitgefilmt und im Internet verbreitet wird. Um das bevorstehende Disziplinarverfahren gegen den Dozenten abzumildern, soll dieser Naima für einen Debattierwettbewerb coachen und der Universität dadurch zu mehr Renommee verhelfen. Widerwillig müssen sich die beiden gegensätzlichen Menschen nun aufeinander einlassen. Das Grundgerüst von Sönke Wortmanns „Contra“ ist das eines Buddy-Movies, bei dem scheinbar unvereinbare Charaktere miteinander zurechtkommen müssen. Doch der Film bietet darüber hinaus noch weit mehr, denn die hier angesprochene Thematik der rassistischen Vorurteile, mit denen Menschen mit Migrationshintergrund oftmals abgestempelt werden, noch bevor man die dahinterstehende Person kennengelernt hat, ist nach wie vor brandaktuell. Und die Tatsache, dass es in „Contra“ um die Kunst der brillanten Rhetorik geht, verleiht dem Film weitere spannende Aspekte. Exzellente Rededuelle und Schlagabtausche reihen sich aneinander, so dass das Zusehen zu einer einzigen intellektuellen Freude wird. Die Figuren sind vielschichtig gezeichnet, und selbst der von Anfang an als kleinkariertes Arschloch eingeführte Universitätsprofessor wird in Christoph Maria Herbsts glaubwürdiger Interpretation am Ende zu einem differenzierten Charakter.
Wie viele andere Filme von Benoît Delépines und Gustave Kervern zerfällt auch „Online für Anfänger“ eher in eine Sketchshow, in der in kleinen Szenen Missstände unserer Zeit angesprochen und auf ironische Weise gebrochen werden. Marie (Blanche Gardin) lebt gerade in Scheidung und hat den Kontakt zu ihrem 15jährigen Sohn verloren, der lieber beim gutverdienenden Vater lebt. Als sie nach einer nächtlichen Sauftour von ihrem Lover erpresst wird, der ein Sextape mit ihr aufgenommen hat, ist das Dilemma groß. Auch Nachbar Bertrand (Denis Podalydès) hat Ärger mit modernen Kommunikationsmöglichkeiten, denn seine Tochter wird im Internet von Klassenkameraden gemobbt. Die Dritte im Bunde der durch das Internet Geschädigten ist Christine (Corinne Masiero), die als Fahrerin arbeitet und unter den schlechten Bewertungen ihres Internetprofils leidet. Gemeinsam wollen die drei ihre Probleme in den Griff bekommen. Wie immer exzellent besetzt, kann man sich mit den drei Protagonisten vorzüglich identifizieren und mit ihren Problemen mitfühlen – und auch an Tiefgang mangelt es dem Film nicht, weil er uns auf humorvolle Weise jede Menge über die Welt von heute erzählt.
Eine Kleinstadt in Oregon, die Kohlenmine wurde stillgelegt, das Industriegelände rottet vor sich hin, die Menschen stehen vorm Sozialamt Schlange. Die Lehrerin Julia Meadows (Keri Russell) ist vor kurzem hierher zurückgekehrt und wohnt bei ihrem Bruder, dem Polizisten Paul (Jesse Plemons). In der Schule engagiert sie sich für Lucas, der mit seinem jüngeren Bruder beim Vater wohnt, verstörende Zeichnungen anfertigt und von den anderen gehänselt wird. Als grausame Morde geschehen, mündet die Spur entlang einer indigenen Legende im Haus des Jungen. Es ist eine Wohltat, einen Horrorfilm mal wieder fernab unzähliger Jumpscares zu durchleben. Abgesehen vom finalen Kapitel, in dem es arg martialisch und vergleichbar plump zugeht, setzt Regisseur Scott Cooper („Feinde – Hostiles“) in „Antlers“ vor allem auf latent wachsenden, atmosphärischen Grusel, der ausschließlich (!) in Nacht und/oder Nebel angelegt ist. Auch wenn es dabei mal deftig zur Sache geht, dominiert die grundsubtile Spannung. Ein erfreuliches Genredrama, coproduziert von Guillermo del Toro („Shape of Water“).
30 Jahre Brings – da muss natürlich ein Jubiläumsfilm her! Und der macht Spaß: Flankiert von Archivmaterial und Weggefährten wie Zeltinger und Kebekus begleiten uns die Bandmitglieder in „Brings – Nix för lau“ gut aufgelegt durch ihre Karriere. Von den ersten musikalischen Gehversuchen in schlechtem Englisch hin zur Selbstfindung: der Offenlegung der eigenen, der kölschen Seele. Dann der Erfolg, der Plattenvertrag, das Koks, das Scheitern, die Stagnation. Und die Rettung – durch den Karneval! Die Öffnung für Klassik und Florian Silbereisen. Vermeintlicher Verrat, und am Ende die Überzeugung, sich selbst und dem Rock’N’Roll bis heute treu geblieben zu sein. Herz, Haltung, Bruderliebe: Das alles ist so erzählenswert wie unterhaltsam. Und beschert uns Laune, Gänsehaut und Pipi in den Augen.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: York-Fabian Raabes Einwanderergeschichte „Borga“, Rebecca Halls Romanverfilmung „Passing – Seitenwechsel“, Gen Iwamas Doku „Daido Moriyama – The Past Is Always New, The Future Is Always Nostalgic“, Axel Brüggemanns Doku „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“, Stephen Chboskys Seelendrama „Dear Evan Hansen“ und der Locksmith-Animationsspaß „Ron läuft schief“.
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