Im Herbst 2019 war Emma Braslavsky Gast des Dortmunder LesArt-Festivals. Damals stellte sie ihren Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ vor und berichtete von ihren intensiven Recherchen zu künstlicher Intelligenz. In der anschließenden Diskussion war auch Ihre Erzählung „Ich bin dein Mensch“ Thema, die in enger Verbindung zum Roman steht. Nun wurde im März auf der Berlinale die Verfilmung der Geschichte durch Maria Schrader vorgestellt, im Juni soll der Film in die Kinos kommen. Wie ergänzen sich Film und Roman?
trailer: Emma, vielleicht kannst Du zunächst nochmal erläutern, wie Kurzgeschichte und Roman zueinander im Verhältnis stehen? Welche Idee war zuerst da, welche Figur? Der männliche Humanoide oder der weibliche?
Emma Braslavsky: 2016, kurz vor Erscheinen und aufgrund meines Romans „Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen“, der ja auch eine besondere Form der Dystopie ist, kontaktierte mich der SWR, ob ich eine Idee für eine Kurzgeschichte für Ihr geplantes Projekt „Near Future“ hätte. Ich wollte schon lang mal eine Liebesgeschichte mit der Lupe schreiben, in Großaufnahme, hermetisch, klaustrophobisch, in der die Romantik eher die Verzweiflung ist, die den Leser vielleicht zur Einsicht bringt, dass Liebe wohl bloß das Produkt einer zynischen, milliardenschweren Industrie sein könnte, eine lebenswichtige Illusion, die uns deshalb regelmäßig in die Einsamkeit schickt. Ich wollte eine Geschichte schreiben, die zeigt, dass das Bedürfnis nach Liebe oft mit den Wunsch nach Aufmerksamkeit und Pflege verwechselt wird.
Die Idee gefiel, ich wurde Teil des Projekts und schrieb „Ich bin dein Mensch“ (der Titel ist ein Wortspiel, das auf Leonard Cohens Song „I’m your man“ anspielt und auch durch die vier Verse der ersten Strophe strukturiert ist). Ich habe die Erzählung ironisch „Liebeslied“ untertitelt, es geht um Alma (eine Paartherapeutin) und Tom (ihren künstlichen Partner), den sie sich heimlich bestellt hat. Alma wirbt öffentlich dafür, dass es Liebe nur zwischen Menschen geben kann, die Liebe zu einem künstlichen Partner sei keine echte Liebe. Damit steht sie weitgehend allein da, denn die Liebesindustrie mit künstlichen Partnern boomt. Als ihre langjährige Beziehung zerbricht, kommt sie mit dem Alleinsein nicht klar und bestellt sich heimlich Tom (den sie als Idealmann bestellt, also so, wie sie ihn in ihren Artikeln anpreist). Anfangs erlebt sie Gefühle und Momente mit ihm, wie sie sich noch nie hatte, sie wird süchtig und merkt schnell, was ihr fehlt. Aber anstatt ihn bei ihrem Servicepartner erweitern zu lassen (sie müsste ja eingestehen, dass dieser Idealmann doch nicht so ideal für sie ist), lässt sie sich von einem alten Freund überreden, die eine oder andere Erweiterung einfach aus dem Darknet herunterzuladen. Diese Apps und Plugins sind aber schrottig und beschädigen Tom immer mehr, seine Selbstreparatur gibt irgendwann auf, die Sache läuft aus dem Ruder.
Als meine Erzählung (sie ist ja doch etwas länger als eine Kurzgeschichte) für die Verfilmung ausgewählt wurde, bin ich mit der Erarbeitung der ersten Drehbuchfassungen beauftragt worden. Während ich hier verschiedene Varianten durchprobierte, diese Geschichte auf 90 Minuten zu erzählen, fragte ich mich, wie sieht eigentlich die Stadt, die Welt drumherum aus. So ist Stoff für den Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ entstanden. Hauptfigur ist Roberta, ein Pilotprojekt der Berliner Polizei, die erste autonom handelnde KI-Kommissarin, während um sie herum die Hubots zum größten Teil leibeigene Wunscherfüllungsmaschinen sind. Sie erscheint in einer Stadt, in der die Suizidraten schwindelerregend hoch sind und die anonymen Bestattungen von Amts wegen enorme Löcher in die Landeshaushalte reißen. Die Polizei ist überfordert. Ein Suiziddezernat wird aus dem Boden gestampft, doch die Aufklärungsquote ist schlecht, es lassen sich bei den meisten Selbsttötungen nicht rechtzeitig Angehörige finden, die für die Kosten aufkommen, weil die meisten Menschen mit ihren perfekten KI-Partnern leben und kaum noch Beziehungen zu Angehörigen haben. Roberta soll es im Testlauf versuchen, in einem Selbstmordfall die Beerdigungskosten dem Steuerzahler zu ersparen. Der Roman ist eher eine Zukunfts-Travestie, eine Krimi-Travestie sowie ebenso eine Familienroman-Travestie und ein Großstadtmärchen. In der Kurzgeschichte und im Roman geht es ums Menschsein in Zeiten, in denen du dir deinen Traumpartner oder -partnerin bestellen kannst, quasi um die Ware Liebe und die wahre Liebe in der Zukunft. Um diesen Moment, wenn ein anthropomorpher oder humanoider Roboter von einem Menschen nicht mehr zu unterscheiden ist. Und auch die Grenzen zwischen Leben und Tod verschwimmen.
„Ich bin dein Mensch“ ist ein Spin-off des Romans geworden. Beide sind auch durch eine Figur verbunden: Der Tom aus der Kurzgeschichte geistert im Roman als Goran (eine verschrottete, schlecht zusammengeschraubte Mads Mikkelsen-Kopie) durch die Geschichte, der von Roberta upgegradet und ihr Partner in den Ermittlungen wird. Warum er offenbar ein Leben vorher hatte und wieso er verschrottet und nicht gebraucht auf den Markt kam, erfahren wir in der Kurzgeschichte. Warum Mads Mikkelsen-Kopie? Weil ich, als ich an den Vorlagen fürs Drehbuch schrieb, ihn als Tom gecastet hatte. Leider stand er für die Zeit nicht zur Verfügung. Wahrscheinlich war er auch zu teuer.
Bist Du in die filmische Bearbeitung noch irgendwie eingebunden worden oder hast Du nach der Abgabe der Geschichte bangen müssen, was aus Deinen Figuren wird?
Das habe ich teilweise schon vorher beantwortet, ja, am Anfang. Auch habe ich mit Maria Schrader noch eine Weile an der Figurenkonstellation des Films und anderen Basics gearbeitet, bis Jan Schomburg dann das finale Drehbuch mit ihr geschrieben hat. Bangen musste ich nicht.
Hast du den Film bereits komplett sehen können? Wie war das für Dich?
Ja, ich war beim internen Screening dabei. Es war toll, zu sehen, wie sie die Details ausgearbeitet, weiterentwickelt oder aus unseren Brainstormings übernommen und umgesetzt hat. Der Film hat einen subtilen Humor, der gut passt, er fließt sehr schön, hat aber Fallhöhen und Tiefen, die in den Szenen stecken. Natürlich bewegt er sich von meiner Erzählung weg, daran habe ich selbst mitgearbeitet, weil diese Fülle eher vier Folgen gebraucht hätte. Das finde ich aber überhaupt nicht schlimm, im Gegenteil, beide – die Kurzgeschichte und der Film – spielen gut miteinander und bleiben trotzdem autonom. Aus dem künstlerischen Blickwinkel ist das besser für beide. Denn sie verweisen immer aufeinander, ohne sich zu ersetzen.
Würdest Du gerne "Die Nacht war bleich ..." ebenfalls verfilmt sehen?
Nicht zwingend, aber ja, warum nicht. Vielleicht setze ich mich da noch selber dran. Mal sehen. Im Moment schreibe ich erst mal mein neues Buch fertig.
Emma Braslavsky: Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten | Suhrkamp | 22 €
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