Ein spannender Krimiplot, eine gesellschaftskritische Dystopie, eine bissig-satirische Betrachtung von Geschlechterrollen, ein sowohl von der philosophischen wie der technischen Seite her fulminanter Vortrag über KI – all das in einem konnten die Besucher des LesArt-Festivals innerhalb von knapp zwei Stunden erleben. Emma Braslavsky war zu einer Lesung aus ihrem aktuellen Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ ins Literaturhaus Dortmund gekommen und wusste auf ganzer Linie zu überzeugen. Schon die einführenden Worte der Moderatorin Frederike Jacob sprudelten über vor Begeisterung für ihren Gast und den Roman – und die Autorin konnte die hohen Erwartungen, die hierdurch geweckt werden, durchweg erfüllen.
Statt direkt mit der Lesung beginnen, schilderte Emma Braslavsky die Entstehungsgeschichte des Romans, zeigte auf, wie er mit einer ebenfalls kürzlich veröffentlichten Kurzgeschichte und einem Filmprojekt, für das sie die ersten Drehbücher entwarf, verwoben ist. Aber auch ein sehr persönliches, tragisches Erlebnis hat Niederschlag im Buch gefunden. Der tödliche Sturz eines Bekannten, der die Autorin nur knapp verfehlte, wurde zur dunklen Inspiration für eine der Figuren des Romans. Der bürokratische Beerdigungsapparat, der für die anonyme Sozialbestattung anläuft, findet ebenfalls seinen Niederschlag im Buch. Im Buch, das Emma Braslavsky als Ersatz für den Grabstein ansieht, den jener Gregor nicht erhalten hat.
„Die Nacht war bleich, die Lichter blinken“ führt in ein Berlin in nicht allzu ferner Zukunft. Man erkennt die Stadt sofort wieder, die Bergmannstraße ist weiterhin belebter Hotspot und der Görlitzer Park immer noch ein Drogenumschlagplatz. Dennoch gibt es einige Verschiebungen gegenüber unserer Zeit. Die Postdrohne, die zum Einstieg in die Geschichte durch den Berliner Nachthimmel fliegt, ist nur ein erstes Zeichen, dass die technische Entwicklung nicht stehengeblieben ist (dass immer noch Briefe auf Papier verschickt und zugestellt werden, hat einen guten Grund, der allerdings nur im Roman erschlossen wird). Die vielleicht verstörendste Entwicklung ist auf den ersten Blick nicht sichtbar: Berlin ist zu einem Hotspot der Bedürfnisbefriedigung durch künstliche Intelligenz, sogenannte Hubots (Human Robots) geworden. Wer es sich leisten kann, verzichtet auf einen menschlichen Partner mit all seinen Macken und Eigenarten und lässt sich stattdessen eine auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Humansimulation ins Haus liefern. Kochen, Putzen, Zärtlichkeit – was auch gewünscht wird, wird ohne Einwände erledigt.
Nun kennt man aus Literatur und Film bereits zu Genüge das Sujet der außer Kontrolle geratenen Humanoiden – Emma Braslavsky jedoch setzt an einer anderen Stelle an: Augenscheinlich führt gerade diese oberflächlich perfekte Wunscherfüllung letztlich zur Vereinsamung und einem exorbitanten Anstieg von Suiziden. Die Toten ohne menschliche Angehörige verursachen Verwaltungsaufwand und vor allem hohe Kosten, die – an der Haushaltssituation Berlins hat sich offenbar nichts geändert – nicht mehr getragen werden können. Bei der Polizei wurde daher eine Sonderermittlungsgruppe für Suizid eingerichtet, die in erster Linie nach zahlungskräftigen Angehörigen forschen soll. An dieser Stelle kommt Roberta ins Spiel, der Prototyp einer Recheneinheit, die nicht in den engen Programmierungsgrenzen von Dienstleistungen arbeitet, sondern mit umfassenden Rechten ausgestattet ist. Das, was wir „Identität“ nennen, ist bei Ihr noch leerer Speicherplatz, sie kennt keine Gefühle und geht bei ihren Ermittlungen streng analytisch vor. Emma Braslavsky nutzt dieses Sujet für sehr treffende Betrachtungen gesellschaftlicher Situationen und menschlicher Kommunikation, weiß durchaus auch die Komik aus solchen Konstellationen herauszukitzeln.
Für Robertas Perspektive zeigt die Autorin ein sehr feines Gespür. Als sie im Gespräch von ihren Recherchen zu KI berichtet, von ihrer Begegnung mit dem Roboter „Sophia“ und anderen Prototypen, zeigt sich, mit welcher Leidenschaft sie die Recherche betrieben hat, wie sehr sie die philosophischen Fragen zu menschlicher und künstlicher Identität beschäftigen. Dem Publikum bietet sie intensive Anregungen, sich mit diesem Themenkomplex zu befassen – und so bleiben die für viele Lesungen typischen Fragen („Wie sind Sie auf die Idee gekommen?“, „Was schreiben Sie als nächstes?“ etc.) komplett aus. Stattdessen folgt auch die Diskussion im Anschluss den von der Autorin ausgelegten Fährten.
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