Ich entstamme einer Zeit, in der Eltern vor der Geburt eines Kindes noch nicht wussten, ob ihr Nachwuchs männlich oder weiblich ist. Das war die Zeit, in der werdende Eltern nicht entzückende Videos aus dem Inneren der glücklichen Gebärmutter schauen konnten. Und so blieb meinen Eltern nichts anderes übrig als zu hoffen, daher ja auch der Ausdruck „guter Hoffnung sein“. Meine Eltern hofften neun Monate lang, ich sei ein Christoph. Diesbezüglich war ich schon eine Enttäuschung, kaum dass ich den ersten Schrei in ihre Ohren sandte. Ich habe mich dann in meiner Kinderzeit sehr bemüht, diesen Geburtsfehler zumindest durch wildes Spiel und jungenhaftes Gebaren auszugleichen. Dennoch stieß ich an gewisse Grenzen. Auf dem Bolzplatz unter unserem Haus konnte ich noch so souverän ins Gras rotzen, nie wurde ich zum Mitkicken aufgefordert. Manchmal habe ich heimlich Elfertreten geübt. Ich war ziemlich gut, weil meine Schwester, mein Torwartersatz, sich im entscheidenden Moment immer geduckt hat, aus Angst vor dem Ball. Typisch Mädchen eben, bah! Als mir dann die Pubertät per Wachstums- und Hormonschub gänzlich die Illusion raubte, ich könnte meinen Eltern nachträglich die Enttäuschung über mein Geschlecht ein bisschen mildern, habe ich gelernt, dass ein weiblicher Körper gar nicht so was Schlimmes ist ...
Wir Fanfrauen sind Körperzellen des 12. Manns im Stadion
Meine Begeisterung für Fußball allerdings ist, wenngleich nur passiv, geblieben. Als dann nach der WM 2006 endgültig auch Frauen und Kinder als Fans geduldet waren, gehörte ich noch nicht mal mehr einer Minderheit an. Und was mich nachträglich erstaunte: Es gelang mir dadurch eine, wenn auch mittlerweile ungewollte, schmerzfreie Geschlechtsumwandlung. Wir Fanfrauen sind Körperzellen des 12. Manns im Stadion. Was allerdings nicht bedeutet, dass wir uns auch komplett wie Kerle aufführen sollen. Der männliche Mitfan hat es ganz gerne, wenn der weibliche Teil des 12. Manns mit Fragen während des Spiels signalisiert, dass die Rangordnung durchaus akzeptiert wird: Kompetenz auf der einen Seite, interessierte Bewunderung auf der anderen. Zu doof sollten die Fragen nicht sein. Also bitte nicht etwa: „Tut den Spielern dieses fiese Faul denn nicht weh?“ Nein, lieber im entscheidenden Moment fragen, seit wann blinde Schiedsrichter Spiele pfeifen dürfen. Oder: Wenn der Reus jetzt rausgeht, wen bringt er denn dann wohl? Solche Fragen sind gern genommen und zeigen, dass der weibliche Teil des 12. Manns ohne den echten Teil des 12. Manns letztlich nix vom Spiel kapieren würde. In der letzten Saison habe ich im schönsten Stadion der Welt eine Szene beobachtet, die mir große Freude gemacht hat. Bei einem schwer erkennbaren Abseitstor brüllte ER noch begeistert jaaaaaaaaaa, während SIE schon scheißescheißescheiße sagte! Dafür rief er dann kurz danach, als Kagawa durch besonders schnelles, trickreiches Spiel ein echtes Tor vorbereitet hat, „Shinji, meine Frau will ein Kind von dir!“ Also bitte, geht doch!
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Entscheidend is auf‘m Platz
Die Rolle des Fußballfans zwischen Randalierer und Polizeiopfer – THEMA 05/13 ELF FEINDE?
„Viele Fans halten sich an die immer strengeren Regeln“
Rolf-Arnd Marewski über Ultras, Nazis und Gewalt in Dortmund – Thema 05/13 Elf Feinde?
„Die Sicht der Medien auf die Gewalt hat sich geändert“
Markus Mau über Schalke-Fans und die Frage, ob Gewalt zugenommen hat – Thema 05/13 Elf Feinde?
Bewegung unter Hausrecht
Was Ultras und Piraten gemeinsam haben – Thema 05/13 Elf Feinde?
Vorwärts 2026
Intro – Kopf oder Bauch?
Mieter aller Länder, vereinigt euch!
Teil 1: Leitartikel – Der Kampf für bezahlbares Wohnen eint unterschiedlichste Milieus
„Glaubwürdigkeit ist ein entscheidender Faktor“
Teil 1: Interview – Sprachwissenschaftler Thomas Niehr über Sprache in Politik und Populismus
Im Krieg der Memes
Teil 1: Lokale Initiativen – Saegge klärt in Bochum über Populismus auf
Worüber sich (nicht) streiten lässt
Teil 2: Leitartikel – Wissenschaft in Zeiten alternativer Fakten
„Dass wir schon so viel wissen, ist das eigentliche Wunder“
Teil 2: Interview – Neurowissenschaftlerin Maria Waltmann über Erforschung und Therapie des Gehirns
Über Grenzen hinweg entscheiden
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Experimentallabor Decision Lab Cologne
Noch einmal schlafen
Teil 3: Leitartikel – Ab wann ist man Entscheider:in?
„Zwischen Perfektionismus und Ungewissheit“
Teil 3: Interview – Psychiater Volker Busch über den Umgang mit schwierigen Entscheidungen
Weil es oft anders kommt
Teil 3: Lokale Initiativen – Gut aufgestellt in Wuppertal: Pro Familia berät zu Schwangerschaft, Identität und Lebensplanung
Keine Politik ohne Bürger
Wie Belgien den Populismus mit Bürgerräten und Dialogforen kontert – Europa-Vorbild: Belgien
Der Marmeladen-Effekt
Eine interaktive Mission durch die Küchentischpsychologie – Glosse
Kli Kla Klacks
Intro – Genug für alle
Gleiches Recht für alle!
Teil 1: Leitartikel – Aufruhr von oben im Sozialstaat
„Eine neue Ungleichheitsachse“
Teil 1: Interview – Soziologe Martin Heidenreich über Ungleichheit in Deutschland
Klassenkampf im Quartier
Teil 1: Lokale Initiativen – Bochums Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Stahlhausen
Gerechtigkeit wäre machbar
Teil 2: Leitartikel – Die Kluft zwischen Arm und Reich ließe sich leicht verringern – wenn die Politik wollte
„Je größer das Vermögen, desto geringer der Steuersatz“
Teil 2: Interview – Finanzwende-Referent Lukas Ott über Erbschaftssteuer und Vermögensungleichheit
Gegen die Vermüllung der Stadt
Teil 2: Lokale Initiativen – Umweltschutz-Initiative drängt auf Umsetzung der Einweg-Verpackungssteuer
Die Mär vom Kostenhammer
Teil 3: Leitartikel – Das Rentensystem wackelt, weil sich ganze Gruppen der solidarischen Vorsorge entziehen
„Die gesetzliche Rente wird von interessierter Seite schlechtgeredet“
Teil 3: Interview – VdK-Präsidentin Verena Bentele über eine Stärkung des Rentensystems