Es war eine Machtprobe. Im Herbst wehrten sich Fußballfans, vor allem Ultras, gegen eine Verschärfung von Sicherheitsauflagen rund um den Fußball. Über Wochen verzichteten sie auf das, was sie eigentlich ausmacht: Gesänge, Fahnen, Choreographien; Stimmung. Selten einmütig hielt sich das geneigte Publikum quer durch die Ligen zurück. Und für jeweils 732 elende Sekunden schien sich der Zauber um den Profifußball zu verflüchtigen. Ohne das Tam-Tam wurden selbst Bundesligakracher zu dem, was sie ohne Sportindustrie wären: Fußballspiele. Die Schweigeminuten endeten enttäuschend für die Protestler. Das Sicherheitskonzept wurde kaum abgemildert, die allermeisten Bundesligaclubs stimmten zu. Am Generalverdacht gegenüber Fußballfans, vor allem gegen Auswärtsfans und Ultras, hat sich nichts geändert. Überwachungen, Verbote, Kontrollen und eine mediale Stigmatisierung von Ultras prägen weiterhin Debatten und Spieltage. In den meisten Stadien haben sich schließlich die durchgesetzt, die nur gucken wollen. Wie bei der anderen erstarkenden Demokratiebewegung der letzten Zeit, den Piraten, scheint eine Bewegung zu dem Zeitpunkt an ihrem Ende zu sein, als es am schönsten war.
Die liebevolle Heimarbeit der Choreographen hat den Fußball zu einem anderen, besseren, erfolgreicheren Produkt gemacht
Motive und Ziele zwischen Piraten und protestierenden Fußballfans ähneln sich erstaunlich: Die aus der Netzpolitik kommenden Piraten und die aktiven Anhänger kämpfen für Selbstbestimmung in Internet oder Fankurve. In den kulturell schützenswerten Freiräumen soll staatliche Kontrolle nicht ausgeweitet werden oder gar nicht erst stattfinden. Beide Bewegungen orientieren sich kaum an herkömmlichen politischen Mustern wie Links oder Rechts. Eher werden urbürgerliche Forderungen bemüht: Freiheitsrechte, Teilhabe, Autonomie, Abwehr des Überwachungsstaates. Die Neubürger von Piraten und Ultraaktivisten handeln dabei als Konsumenten. Internet und Fußballarena sind kommerzielle Räume. Der User oder Fan ist zunächst zahlender Kunde an Provider, Computerfirmen und Werbemultis oder eben an Vereine und Fußballindustrie. Die Politisierung geschah hier nicht aus der Angst um den Arbeitsplatz, Gesundheit, Krieg und Frieden oder mangelnde Aufstiegschancen. Es geht um Frei-Zeit, Bewegung als solche, die Entgrenzung von Freiheit. Doch bei politischen Einmischungen in kommerziellen Räumen gelten letztlich Hausordnungen. Die Kritik stößt an ihre Grenzen. Die Piratenbewegung steht für ein freies Internet, obwohl das Netz und dessen virtuelle Kommunikationsmittel längst beherrscht werden von wenigen globalen Konzernen. Die Daueranfeuerung und liebevolle Heimarbeit der Choreographen auf den Stehtribünen hat den Fußball in Deutschland längst zu einem anderen, besseren, erfolgreicheren Produkt gemacht. Bewiesen wurde das spätestens, als die Ultras schwiegen. Doch trotz der Machtprobe in den Kurven – für Fans, die das friedliche Bild des Fußballs eintrüben oder auch nur die Linsen der Kameras mit Rauchnebel, gibt es kein Pardon.
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