Nach zehn Jahren am Ort hat das Internationale Geothermiezentrum (GZB) jetzt sein neues Zuhause beziehen können. Doch die Freude in Bochum ist getrübt. Denn das angestrebte Tiefbohr-Projekt zur Erschließung von richtiger Hitze aus dem Erdboden wird schon seit 2012 von einem „F…-Wort“ blockiert.
So ein Geothermiezentrum stellt man sich als hauptberuflicher Laie in Sachen Fassadengestaltung dann doch etwas anders vor. Hitze aus dem Schoß der Erde – es eröffnet ungeahnte farbliche Kreativ-Anstöße, die wenigstens mit gelb-rot-glühender Lava korrespondieren oder mit weißdampfenden Geysiren. Stattdessen sind alle drei Neubauten mit Metallplatten in einem Farbton beplankt, den man nach Genuss stimulierender Getränke soeben noch als „helles freundliches Schwarz“ charakterisiert. Dem Vernehmen nach habe sich der Architekt vom „schwarzen Lavagestein aus der Tiefe“ anregen lassen, wird kolportiert. Naja.
Über Sonden wird die Erdwärme unter unseren Füßen erschlossen. Foto: GIZ
„Geothermie leidet darunter, dass man sie nicht sieht, wie man eine Solaranlage sieht oder ein Windrad“, hat Holger Born als Sprecher des GZB beklagt. Ein baulich-gestalterisches Ausrufezeichen hätte ja vielleicht eben deswegen … aber so wichtig scheint das gar nicht mehr zu sein. Jedenfalls entwickelt sich die Erschließung von Erdwärme – zumindest im oberflächennahen Bereich, also bis 100 Meter Bohrtiefe – inzwischen sehr passabel. „Bei Neubauten sind wir schon mit einem Anteil von 30 Prozent vertreten“, sagt Sven Kersten von der NRW-Energieagentur. Die gesetzliche Vorschrift, hier auch erneuerbare Energien einzubinden, hat’s möglich gemacht. Immerhin rangiert NRW mit über 600 Anlagen inzwischen auf Platz 4 des Ländervergleichs, den der Bundesverband Geothermie regelmäßig anstellt. Die erschlossene Wärmeleistung von 8,2 MW ist nach Bayern sogar die zweitgrößte der Republik. Andererseits: Nur im Ruhrgebiet zählt man aktuell bereits rund 16.000 Solarstrom-Dächer.
Interessierte Bauherren können sich vorab über das Web-Portal www.geothermie.nrw.de anschauen, ob ihre Adresse einen nutzungsfähigen Untergrund aufweist. Ist dies der Fall, gibt eine Anfrage bei der Bezirksregierung Arnsberg Aufschluss, ob und in welcher Tiefe mit alten Bergbau-Hohlräumen zu rechnen ist. Solche Altlasten sind nicht nur dann ein Problem, wenn obendrüber eine Autobahn oder ein Hauptbahnhof gebaut wurden. Die Kostenfrage gestaltet sich dagegen ausgeglichen: Das Teuerste ist immer noch die Bohrung. Sie kostet rund 60 Euro pro Meter. Auch die Wärmepumpe ist etwa 2500 Euro teurer als eine Gastherme. „Allerdings spare ich Schornsteinfeger-Gebühren und die gesetzlich verlangte Solarthermie“, rechnet Born vor, „und ab da spielt der Energie-Minderverbrauch schon eine Rolle. Momentan würde ich sagen, es kostet nicht mehr, hat aber die bessere CO2-Bilanz.“
Richtig interessant könnte es dagegen werden, zur Wärmeerschließung ein gutes Stück tiefer in die Erdkruste zu bohren. Das Bochumer Zentrum verfolgt bereits seit einigen Jahren den Plan, mit 120 Grad heißem Wasser aus dem Untergrund einen Teil der Ruhr-Uni und der angrenzenden Querenburg-Siedlung zu versorgen. Doch der Plan ist zunächst auf Eis gelegt – wegen eines Begriffs, der an anderer Stelle und unter anderen Umständen heftige Emotionen weckt: „Wir reden inzwischen nur noch von ,diesem Scheiß-F…-Wort‘“, mault Sven Kersten von der Energieagentur.
Die Sache ist nämlich die: Will man Hitze aus 4500 Metern Tiefe fördern, braucht es dazu Wasser. In Norddeutschland oder einigen Landstrichen Bayerns ist es unten vorhanden und wartet darauf, angezapft zu werden. In allen anderen Fällen muss man Wasser mitbringen: Oben einleiten, unten erhitzen lassen, wieder nach oben befördern. Die Bohrungen für „runter“ und „rauf“ sollen in der Tiefe etwa 1000 Meter auseinander liegen. Damit das Wasser fließen kann, muss das Gestein dazwischen mit Wasserdruck perforiert werden. Und diesen Vorgang nennt man: „Fracking“.
NRW ist das einzige Bundesland, das – um Fracking zur Erdgasgewinnung zu unterbinden – Bohrungen in mehr als 1000 Metern Tiefe verboten hat. Was bei der umstrittenen Gasförderung mit dem Einsatz eines beachtlichen Chemie-Cocktails verbunden ist, würde bei der Tiefen-Geothermie ausschließlich mit Wasser und Sand erfolgen. „Doch die Landesregierung unterscheidet da nicht“, hadert GZB-Experte Born mit dem Rotlicht aus Düsseldorf. „Wir sind leider in ein negatives Fahrwasser geraten.“ Minister Remmel habe zwar inzwischen die Unterschiede verstanden, heißt es. Aber in der Sache gehe es nicht voran.
So tröstet man sich in Bochum derzeit lediglich damit, bei den Arbeiten zur eigenen Wärmeversorgung quasi ein neues Bohrverfahren erfunden zu haben, das den Platzbedarf eines Bohrungsfeldes gewaltig minimiert. Mit den Stadtwerken Aachen untersucht man ein kleines funktionierendes Geothermie-Projekt – von dem man noch nicht weiß, warum es funktioniert. Auch zur Förderung von Erdwärme aus alten Steinkohlezechen läuft gerade eine Machbarkeitsuntersuchung. Und schließlich soll das GZB im Sommer eine weitere Professur bekommen. Alles gute Nachrichten also. Wenn bloß dieses verdammte „F…-Wort“ nicht wäre.
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