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Hans-Joachim „Hajo“ Sommers
Foto: Christoph Reichwein

„Einer muss ja in Oberhausen das Licht ausmachen“

05. Februar 2024

Fußballfunktionär Hajo Sommers über Missstände im Ruhrgebiet – Über Tage 02/24

Hajo Sommers ist Funktionär des Fußballclubs Rot-Weiß Oberhausen und ehemaliger Intendant der Kleinkunstbühne Ebertbad. Im Interview kritisiert er Entscheidungen aus der Politik und spricht über seine Direktkandidatur für die Satirepartei Die Partei.

trailer: Herr Sommers, vom Ebertbad über das Gasometer bis zu Rot-Weiß-Oberhausen (RWO) übernahmen Sie Funktionen in wichtigen Institutionen dieser Stadt. Warum sind Sie nie weggezogen?

Hajo Sommers: Ich wolle wie alle damals nach Berlin. Dann hat mich die ZVS (Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, Anm. d. Red.) nach Bonn geschickt, eine Stadt, die ich noch nicht mal besuchen wollte – geschweige denn dort studieren. Irgendwann bin ich dann in Oberhausen hängengeblieben, wo ich immer das gemacht habe, worauf ich Bock hatte. Genau das geht in Oberhausen besser als in Großstädten. Du lebst hier auch billiger. Und ich mag das Ruhrgebiet in seiner verschissenen, verkackten Art und Weise. Den Kollegen, die es damals nach Berlin zog und die heute mit Mitte 60 zurückkehren, erklärte ich das so: Einer muss ja hier in Oberhausen das Licht ausmachen. Ich war nie so richtig einverstanden, was hier passiert. Aber ich bin trotzdem geblieben.

Womit waren Sie nicht einverstanden?

Man hätte andere Entscheidungen treffen können, wenn man sich getraut hätte. Damit meine ich einfache Dinge: Wie macht man eine Stadt lebenswert für diejenigen, die noch nicht da sind?

Oft wird in dieser Hinsicht kritisiert, dass die Entscheidungsträger dieser Region in Düsseldorf, Münster oder Arnsberg liegen.

Ja. Ich glaube, es war auch Absicht von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, diese Region zu splitten. Die wollten bestimmt nicht, dass über sieben Millionen Menschen hier, von denen die meisten dicke Oberarme hatten, Macht haben. Und die hatten sie zunächst nach dem Krieg, wenn man etwa an Stahlarbeiterstreiks zurückdenkt. Doch es macht keinen Sinn, wenn in Düsseldorf, Arnsberg oder Münster entschieden wird, wie wir leben sollen. Selbst der Westfale darf ja noch über uns bestimmen. All das führte dazu, dass wir noch immer nicht mit der Straßenbahn von Oberhausen nach Essen fahren können. Es fehlt eine große Infrastruktur. Es wäre einfacher, wenn vor 50 Jahren der Nahverkehr für das ganze Ruhrgebiet geschaffen worden wäre.

Als Sinnbild für diese Nahverkehrssituation im Ruhrgebiet erscheint mir die Linie 105, die in Essen-Frintrop vor einem Prellbock endet, statt nach Oberhausen weiterzufahren.

Ja. Darüber hat damals auf Initiative der CDU ganz Oberhausen abgestimmt. Raten Sie mal, welcher Teil der Stadt dagegen war? Der ganze Norden. Dort wäre die Bahn noch nicht mal entlang geschrammt. Die Leute im Norden hätten diese Linie gar nicht benutzen können. Deswegen waren sie auch dagegen. Man hätte nur dort abstimmen sollen, wo die Bahn entlang gefahren wäre. Sonst kann man genauso die Innenstadt mit einem sehr hohen Anteil an Sozialhilfeempfängern darüber abstimmen lassen, ob die Bewohner im Norden noch weiterhin mit ihren Porsche-Cayennes fahren dürfen. Alles, was den Öffentlichen Nahverkehr besser macht, ist ein schweres Thema in Deutschland und dem Ruhrgebiet speziell. Aber jede Stadt hat hier einen eigenen Geschäftsführer mit seinen 60 bis hundert Bussen. Und warum soll das einer wieder loshaben wollen? Dieser Job wird bestimmt super bezahlt.

Sie waren bei der Bundestagswahl 2021 Direktkandidat der Satirepartei Die Partei. Was hätten Sie als Politiker geändert?

Es war ein Riesenspaß! Ohne die Partei wäre ich sogar nach Berlin gekommen. Denn meine Partei kostete mir Stimmen. Aber immerhin habe ich Frau Dött, die seit hunderttausend Jahren für die CDU Oberhausen im Bundestag sitzt, obwohl sie hier nie wohnte, durch meine Kandidatur herausgekegelt. Das war es mir wert. Selbst wenn ich beim zweiten Versuch auch nicht nach Berlin kam.

Was hätte Ihnen als Kandidat für die von Armut geprägte Region vorgeschwebt?

Wir sollten uns im Ruhrgebiet mal was Neues trauen und den Ärger aushalten. Ich kenne z.B. den Kämmerer hier sehr gut. Zigmal fragte ich ihn bereits, warum sie die Stadt nicht bankrott gehen lassen, also eine Zahlungsunfähigkeit verkünden. Das wäre doch die einzig logische Konsequenz, wenn man über Jahrzehnte kein Geld hat. Das Ruhrgebiet wurde mit dem Strukturwandel zum größten Subventionsfriedhof nach Berlin. In den letzten 40 Jahren habe hier doch alle verlernt, wie man selbst Geld verdient. Alles ist nur noch darauf ausgerichtet, vom Bund oder vom Land Geld zu kriegen. Man muss deswegen auch nicht über Bürgergeldempfänger schimpfen. Denn jede Drecksstadt im Ruhrgebiet macht nichts anderes. Die kriegen auch nur ihr Bürgergeld.

Interview: Benjamin Trilling

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