17. Juli 2014: Vom Flug MH17 sind nur noch Bruchstücke übrig. Kein Korrespondent vor Ort, die Faktenlage unklar. "Und da sitzen Sie so als Nachrichtenmuckel und müssen in zwei Stunden die Tagesschau beliefern", erklärt Sonia Seymour Mikich ihrem Publikum. Das klingt wie eine Rechtfertigung.
Zumal in Zeiten, wo der klassische Journalismus nicht nur in einer wirtschaftlichen, sondern auch einer Vertrauenskrise steht. Nicht umsonst eröffnete die Chefredakteurin des WDR Fernsehens den Abend mit einem ausgedehnten Plädoyer – für den Journalismus als „Anwalt der Zivilgesellschaft“. Rund 60 Gäste lauschten ihren Ausführungen über Grundlagen journalistischer Arbeit in der Alten Druckerei Herne – ein symbolischer Ort, um über den Wandel im Mediengeschäft zu reden.
„Die Wahrheit? Es muss schon ‘ne Nummer kleiner sein“, sagt Mikich. Weil es absolute Objektivität nie geben kann. Weil jeder Bericht stets nur ein Ausschnitt ist. Vieles hat die langjährige Monitor-Moderatorin so oder ähnlich schon in einem Beitrag für die Süddeutsche geäußert. Und nahezu alles dürfte dem medienkompetenten Bürger selbstverständlich sein.
Die erste Wortmeldung aus dem Publikum sprach das Thema Glaubwürdigkeit der Presse an, Stichwort: Wulff. Für jedes Beispiel von schlechtem Journalismus, gebe es auch Gegenbeispiele, erwiderte Mikich, sparte aber auch nicht an Selbstkritik: in Zeiten von hysterischen Updates im Online-Teil gehe oft die Ruhe für tiefergehende Recherchen verloren.
Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, den die digitale Revolution darstellt: In den USA übernehmen bereits Algorithmen die Sportberichterstattung für untere Ligen, berichtet Mikich: Der Computer verknüpft Sportstatistiken mit Standardphrasen – fertig ist die Nachricht.
Also wozu noch Journalisten? Die Antwort ist leicht: "Die Sauereien der Welt werden nicht von den Tätern zugegeben", sagt Mikich. Algorithmen verarbeiten Daten, sie fragen nicht nach. Das zweifelt niemand an, trotzdem scheint es, als sei der klassische Journalismus in Erklärungsnot geraten.
Mikich sah das nicht so. Man müsse den Leuten eben erklären wie das Geschäft läuft, „warum man einen Tag für nur anderthalb Minuten Filmbeitrag brauchen kann“, sagt sie. Vielleicht tut ein klein wenig Nachhilfe in Medienkunde auch manchmal Not: „Wenn ich bei der Tagesschau einen Kommentar höre, dann kann ich den oft widerlegen“, monierte ein Zuhörer. „Das ist Meinungsfreiheit“, erwiderte Mikich ruhig.
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