Am Anfang: Schwarz. Aus dem Off eine Arie. Ein Paar schwebt heran in den Wolken. Dann erscheinen Punkte auf der Leinwand und bilden den Titel: „Über die Unendlichkeit“. „Das Leben ist eine Tragödie“, sagt der schwedische Filmemacher Roy Andersson. Tragödie und Zuversicht versteht Andersson wundersam gleichberechtigt einzufangen. Mitunter in einem einzigen Bild, wenn das anfangs erwähnte Paar anmutig über dem vom Weltkrieg zerbombten Köln schwebt. Um das Schöne zu zeigen, muss man Gegensätze schaffen, sagt Andersson. Mit „Über die Unendlichkeit“ bleibt er der streng stilisierten, assoziativen Inszenierung seiner letzten drei Werke treu, die er 2000 mit „Songs from the Second Floor“ begann und im Abstand von je sieben Jahren auf die Leinwand warf. Trostlose Grotesken, durchbrochen von magischen, erhabenen Lichtblicken. Szenen und Posen, die, wie die Punkte, die den Titel bilden, einen Film formen. Andersson ist inspiriert von der Kunst der neuen Sachlichkeit aus den 20er Jahren. Von Otto Dix. Vom schwedischen Funktionalismus der 50er. Inspiriert durch Scheherazade aus „Tausendundeine Nacht“, verwendet er erstmals eine Erzählerin, die uns sagt, was sie sieht – was wir sehen. Andersson bleibt auch mit seinem neusten Werk einzigartig, formvollendet und sehenswert.
Sie ist Teil des künstlerischen Aufbruchs der Nouvelle Vague, nun wird sie auch Teil des politischen Aufbruchs: Als Schauspielerin Jean Seberg (Kristen Stewart) in den 1960ern in die USA zurückkehrt, um an ihre einst mit Otto Premingers „Joan of Arc“ begonnene Hollywoodkarriere anzuschließen, solidarisiert sie sich mit der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Ihr öffentliches Engagement und die Affäre mit einem Black-Panther-Aktivisten rufen indes das FBI auf den Plan: Die Stil-Ikone wird dauerüberwacht und schließlich Opfer einer Schmutzkampagne, die sie zu zerstören droht. Benedict Andrews' Film „Jean Seberg – Against All Enemies“ blendet Sebergs schauspielerische Arbeit weitgehend aus und fokussiert auf eine eindringliche Polit-Passionsgeschichte, die im Kontext rassistisch motivierter Behörden-Gewalt in der Gegenwart neue Aktualität hat.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Nicola Hens' Doku „Chichinette – Wie ich zufällig Spionin wurde“, Thomas Horats Doku „Die Rückkehr der Wölfe“, Melanie Waeldes gefeierter Debütfilm „Nackte Tiere“, Rod Luries Kriegsdrama „The Outpost - Überleben ist alles“ und Maggie Perens Zeitschleifen-Komödie „Hello Again - Ein Tag für immer“.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Glück gehabt?
Die Filmstarts der Woche
Vielfalt in den Feldern
Belohnungen für mehr Biodiversität in der Landwirtschaft – Europa-Vorbild: Österreich
Tastenlegende auf Tournee
Herbie Hancock in der Philharmonie Essen – Improvisierte Musik in NRW 07/25
Alternative Realität in Tokyo
„Tokyo Sympathy Tower“ von Rie Qudan – Literatur 07/25
Klänge der Gegenwart
Konzertreihe mex im Künstlerhaus Dortmund – Musik 07/25
„Eine Welt, die aus den Fugen ist“
Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger über das Festival Shakespeare Inside Out in Neuss – Premiere 07/25
Schuld und Sadismus
Diskussion am KWI Essen über Lust an der Gewalt – Spezial 07/25
Der Ast, auf dem wir sitzen
Teil 1: Leitartikel – Naturschutz geht alle an – interessiert aber immer weniger
„Der Beton ist natürlich sehr dominant“
Die Kurator:innen Gertrud Peters und Johannes Raumann zu „Human Work“ in Düsseldorf – Sammlung 07/25
Chaos
NRW kürzt bei freien Tanzgruppen – Tanz in NRW 07/25
Der verhüllte Picasso
„Lamentos“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 07/25
Kinofest-Test
Lünen als Versuchslabor für die Kinozukunft – Vorspann 07/25
In der Kunstküche
„Am Tisch“ und Medienkunst im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/25
Eine große Ausnahme
Der Pianist Alexandre Kantorow in Wuppertal – Musik 06/25
Von Shakespeare bis Biene Maja
Sommertheater in NRW – Prolog 06/25
Impossible Dortmund
Wilco im Dortmunder JunkYard – Musik 06/25
Die „Zweite Schuld“ der Justiz
Ausstellung zur NS-Vergangenheit des Bundesjustizministerium im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Ausstellung 06/25
Hab’ ich recht?
Diskussion über Identität und Wissen im KWI Essen – Spezial 06/25
Kriegstüchtig und friedfertig
Diskussion über europäische Sicherheitspolitik in Dortmund – Spezial 06/25
Lebendige Musikgeschichte
Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller in Köln – Klassik am Rhein 06/25
Der Engel der Geschichte
„Die letzten Tage der Menschheit“ an der Oper Köln – Oper in NRW 06/25
Bis zur Neige
„Der Durst“ von Thomas Dahl – Literatur 06/25
Gegen die Stille
Das 54. Moers-Festival – Musik 06/25
Women first!
Judy Chicago in Recklinghausen – Ruhrkunst 06/25
Flucht ins Metaverse
„Glühfarbe“ von Thea Mantwill – Literatur 06/25