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Die sitzen im Container, aber sitzen wir dort nicht alle?
Foto: glassbooth

„Wir befinden uns schon noch in einem narrativen Theaterstück“

31. Juli 2014

„Container Love“, ein experimentelles Schauspiel der Theatergruppe glassbooth – Premiere 08/14

Ist das moderner Horror oder doch nur hermetisch abgeschlossenes Theater, in dem Dinge gemacht werden, die da draußen schon lange keinen mehr interessieren? In einem 90-minütigen Experiment wagen sich acht Insassen in die Gefangenschaft des ersten „Theatercontainers“ der Welt. Ein ganzer Abend unter Beobachtung kann sehr lang werden – da geht es schon Mal karg, düster und roh zu. Für Gefangene und Zuschauer jedoch bietet sich ein voyeuristisches Vergnügen, wenn die Stimme befiehlt, unter anderem einen Sack an die Wand zu nageln. Wie weit gehen wir, um unsere eigenen Niveaulinien zu unterschreiten? Hier werden Zombiefilme und Asylanten ebenso zusammengemixt, wie Pina Bausch und ein abgehalfterter Schlagersänger. „Container Love“ ist das erste selbstverfasste Stück von glassbooth und die mittlerweile neunte Produktion der Gruppe. trailer sprach mit Gründer und Regisseur Jens Dornheim.

trailer: Eine „Container Love“ – was ist das?
Jens Dornheim:
„Container Love“ ist das erste selbst verfasste Stück von glassbooth, was sich lose an dem „Big Brother“-Container anlehnt, allerdings mit dem ursprünglichen Fernsehformat nicht mehr viel gemein hat.

Unter dem Motto: Ich sehe nichts, ich verstehe auch nichts?
Das wird hoffentlich erst während der Aufführung beantwortet, das Sehen und Verstehen.

Das wird also ein 90-minütiges Theater-Experiment?

Jens Dornheim
Foto: glassbooth
Geboren in Dortmund, aufgewachsen in Gladbeck, studierte Jens Dornheim an der Universität Duisburg-Essen Germanistik, Anglistik und Sozialwissenschaften. Mit Gordon Stephan gründete er 2004 die Theatergruppe glassbooth, angelehnt an das von den beiden übersetzte und inszenierte Stück The Man in the Glass Booth von Robert Shaw.

Genau. Wir spielen in einem so genannten Theatercontainer. Wobei ich das ursprüngliche Konzept, das ich zur Förderung eingereicht hatte, etwas modifizieren musste. Das war ziemlich groß angelegt, aber die Höhe der Förderung ist nicht in der erhofften Menge erfolgt. Deshalb habe ich das Ganze etwas reduzieren müssen. Ich habe mich ein bisschen so gefühlt wie George Romero damals bei seinem Projekt „Day of the Dead“ (Zombie 2, USA 1985, Anm. der Red.). Da hatte er auch einen ziemlich hohen Etat beantragt und die haben ihm gesagt, wenn wir dir das finanzieren, musst du Kompromisse machen, was die Umsetzung angeht, du kannst das dann nicht so gewalttätig machen, wie du das vorhast. Er hat dann gesagt, nein, dann mache ich es lieber für die Hälfte des Geldes und so wie ich das will. Insofern spielt Romero auch in unserem Stück eine gewisse Rolle.

Wie weit muss man gehen, um die eigenen Niveaulinien dabei zu unterschreiten
(lacht) Das spielt natürlich ein bisschen auf den Fernseh-Container an. Wobei wir das im Theater auf verschiedenen Ebenen auch umdrehen. Der Zuschauer soll bei uns auch eingebunden werden.

Die Schauspieler sitzen also in einem Container?
Die Schauspieler sind in einem Container, genau. Und wir haben es in diesem Container mit den verschiedensten Bildern zu tun. Das heißt, es wird jetzt nicht stringent so sein, wie man es aus dem Fernsehen kennt, dass man einen Charakter hat, der von Anfang bis zum Ende derselbe bleibt. Im Unterschied zum Fernsehen, wo man für einen Zeitraum von vielleicht vier bis sechs Wochen jeden Tag einschaltet, haben wir nur einen Zeitraum von 90 Minuten zur Verfügung. Das könnte unter Umständen etwas langatmig für die Zuschauer werden, wenn das immer die gleichen Charaktere wären, die sich wohlmöglich in diesem Container auch noch selbst die ganze Zeit langweilen. Was in dem Fernsehvorbild ja der Fall ist.

Container und Darsteller – das riecht aber auch verdächtig nach Christoph Schlingensief?
Christoph Schlingensief ist natürlich auch bei uns mit an Bord, was die Textcollagen-Verwendung angeht. Aber auch Heiner Müller ist mit an Bord und ganz viele abseitige Sachen, die wir dann mischen. Selbst Baader-Meinhof ist dabei. Insgesamt ist es eine Textcollage aus Fremdtexten und eigenen Texten, zusammengemixt in verschiedenen Bildern, wo wir uns an Genres abarbeiten, die eher dem Theater zuzuordnen sind als dem Fernsehen.

Aber um „Big Brother“ ging es 2000, bei Schlingensief auch schon.
Aber das Schlingensief-Projekt an sich, „Ausländer raus“ hieß das in Österreich, das war ja eher eine Performance im Hinblick auf die damalige FPÖ-Regierung mit Haider. Das ist bei uns etwas anders gelagert. Wir befinden uns schon noch in einem narrativen Theaterstück.

Dortmund ist ohnehin nicht Wien...
Nein, Dortmund ist nicht Wien. Das ist wahr. Ich habe es sowieso nicht von vornherein auf diese Aufmerksamkeit angelegt, die Schlingensief damals im Visier hatte. Bei uns sollen auch bestimmte gesellschaftliche Dinge kritisiert werden, allerdings ist die Form eine komplett andere als bei Schlingensief.

Schließlich riecht es, ausgerechnet in Dortmund, auch nach Phillip Boa.
(lacht) Die erste Assoziation, die zumindest eine bestimmte Generation mit dem Titel hat, ist tatsächlich Phillip Boa, der ja in Dortmund geboren ist, das gebe ich gerne zu. Unser erster Arbeitstitel war „Der letzte Container“, aber „Container Love“ klingt erst mal schöner und vor allem soll dieser Titel auch Programm werden.

Und die Funktion des Zuschauers dabei? Nur ein Voyeur oder auch ein Entscheider?
Diese Frage lasse ich mal offen. Es werden auf jeden Fall unerwartete Sachen passieren.

„Container Love“ | R: Jens Dornheim | Fr 29.8.(P), Sa 30.8. 20 Uhr | Theater im Depot Dortmund | 0231 98 21 20

 

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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