Seit 1996 findet das Musikfestival Juicy Beats im Dortmunder Westfalenpark statt. Von einem vergleichsweise kleinen Festival im Sonnensegel ist es mittlerweile zur Großveranstaltung gewachsen, die sich über weite Teile des Parks erstreckt. 50.000 Besucher kamen in diesem Jahr an den beiden Tagen laut Veranstalterangaben zum Juicy Beats, das musikalisch einen Bogen von Rap, HipHop über Elektropop und Indie bis hin zum Punkrock schlägt.
Eine der derzeit bekanntesten deutschen Bands aus dem letztgenannten Genre, Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern, trat am abschließenden Samstagabend auf und zeigte gleich mit dem ersten Song „Zurück in unserer Stadt“, wo es bei ihr langgeht. Treibender Punkrock mit Mitsing-Refrains, verfeinert durch zwei Trompeten, die dem Ganzen einen leichten Ska-Anstrich verleihen. Hinzu kommt eine klare Sprache in den Texten. „Wir sind zurück in unsrer Stadt und scheißen vor eure Burschenschaft“, singt Frontmann Jan „Monchi“ Gorkow im Opener. Mit kritischen, mitunter auch drastischen Statements gegen Rassismus, Neonazis, Politiker und Polizisten hat sich die Band einen Ruf erworben, der sie zwischenzeitlich sogar ins Visier des Verfassungsschutzes in ihrem Heimat-Bundesland brachte.
Doch bei allen politischen Tönen kommt auch der Spaß nicht zu kurz. So wagt Trompeter Max Bobzin auf einer aufblasbaren „Banane“ einen Ritt über die Zuschauermenge, während Sänger Gorkow Bier an die Fans verteilt – per (Plastik-)Flaschenwurf oder auch mal in direkter Betankung in den Mund gegossen. Als sich eine Gruppe von zum Teil Vermummten mit Rauchtöpfen im Bühnengraben postiert, wird die Klischeekiste allerdings arg weit geöffnet. Diese Art von Antifa-Laienspiel brauchen Feine Sahne Fischfilet eigentlich nicht, denn ihre Musik und die politischen Botschaften kommen auch so an. Zumal sich Gorkow selbst auf der Bühne gegen einen plakativen Gebrauch von Slogans wie „Nazis raus“ ausspricht. „Es ist okay, wenn ihr das hier auf einem Festival ruft“, sagt er an die Adresse des Publikums, „aber ich habe sehr oft den Eindruck, dass es nur Folklore ist“. Viel wichtiger sei es, sich auch im Alltag gegen Rassismus zu positionieren und Menschen zu unterstützen, die wegen ihrer Haltung von Rechtsextremen bedroht wurden. Hiermit spielt der Sänger unter anderem auf die Linken-Politikerin Katharina König-Preuss aus Thüringen an, die zur Zielscheibe des Mordaufrufs einer Neonazi-Band wurde. Ihr hat Feine Sahne Fischfilet den Song „Angst frisst Seele auf“ gewidmet, der auch bei Juicy Beats auf dem Programm steht und vor dem Gorkow auch noch einmal mit deutlichen Worten die Neonazi-Szene in Dortmund-Dorstfeld, die Borussen-Front „und wie die Wichser alle heißen“ geißelt.
Auch ein mehrminütiger Ausfall der Soundanlage, den Gorkow grinsend mit einem „Juicy Beats hat die Stromrechnung nicht bezahlt“ kommentiert, kann die Band nicht stoppen. Rund eine Dreiviertelstunde dauert das reguläre Set, zu dessen Ende „Zuhause“ erklingt. Ein Song, in dem sich die Punkrocker mit dem Schicksal von Menschen auf der Flucht befassen. „Wir sechs hier sind uns einig, dass wir großes Glück haben, auf diesem Fleckchen Erde geboren zu sein“, erklärt Gorkow in seiner Ansage, in der er sich auch deutlich gegen den populistischen Umgang mit dem Thema ausspricht, der bei weitem nicht nur durch die AfD betrieben werde. Vor allem Bundesinnenminister Horst Seehofer und dessen Haltung im Umgang mit Asylsuchenden und Organisationen, die Flüchtende aus Seenot retten, nimmt Gorkow ins Visier. Offen fragt er, wie ein Angehöriger einer vermeintlich christlichen Partei solche Positionen vertreten könne. Nachdem auch noch eine Fahne mit der Aufschrift „Souvláki statt Seehofer“ auf der Bühne geschwenkt worden ist, geht der Konzertabend unter dem Florianturm im Westfalenpark auf die Zielgerade.
Für fünf Zugaben kehren Feine Sahne Fischfilet auf die Bühne zurück. Ihr erster Hit „Komplett im Arsch“ bildet den von den Fans gefeierten Abschluss. Neben allem politischen Engagement ist vor allem der kommerzielle Erfolg der Band bemerkenswert. Das jüngste Album „Sturm & Dreck“ hat den dritten Platz in den deutschen Charts erreicht, die sechs Musiker treten auf den größten deutschen Musikfestivals auf und der Dokumentarfilm „Wildes Herz“ mit Jan „Monchi“ Gorkow als Hauptfigur ist zum Hit in den Programmkinos avanciert. „Wir haben die Band auf dem Schulhof gegründet“, erinnert sich der Sänger auf der Bühne beim Juicy Beats an die Anfangstage, und macht mit dem Hinweis auf das nächste NRW-Konzert deutlich, in welche Dimension das Sextett mittlerweile vorgedrungen ist: Im Dezember wird Feine Sahne Fischfilet in Düsseldorf auftreten – in der mehr als 7.000 Besucher fassenden Mitsubishi Electric Halle.
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