Das erheiterndste Erlebnis im Zusammenhang mit Schule habe ich meiner jüngsten Tochter zu verdanken. Sie muss so etwa sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, also eine echte Grundschülerin mit dem herrlich unorthodoxen Zahnwechselgebiss, das die Kinder in dem Alter haben. Sie hatte eine ausgesprochen humorvolle und verständnisvolle Lehrerin. Wenn meine Tochter von ihren Tanten gefragt wurde, was denn in der Schule ihr Lieblingsfach sei, strahlte sie mit ihrer herrlichen Zahnanarchie und antwortete: „Mathe!“ Erstauntes Stirnrunzeln beim Fragesteller. Die wenigsten Kinder lieben ausgerechnet Mathe. Dann kam immer die Frage, „und welche Note hast du in Mathe?“ Meine Tochter strahlte ungebrochen fröhlich weiter und antwortete: „Ne Fünf“ Der völlig belämmerte Gesichtsausdruck bei den Fragestellern war unbezahlbar. Für mich aber war das ein später nachhaltiger Aha-Effekt: Man kann offensichtlich auch lieben, was man nicht so gut kann!
Einen ähnlich erheiternden Moment muss ich meiner Mutter auch in frühen Jahren beschert haben. Sie wurde in meine Schule zitiert, weil ihre Tochter einen schweren Betrug begangen habe. Diese Schule war ein Nonnenlyzeum, eine reine Mädchenschule. Staubtrocken und freudfrei. Trotzdem habe ich, meiner Erinnerung nach, nicht sonderlich unter der Schule gelitten. Meine Lebensschwerpunkte lagen fernab schulischer Notwendigkeit. Deshalb hatte ich häufig einfach keine Zeit, Hausaufgaben zu machen. Ich musste mich auf Pferdekoppeln und in Apfelbäumen rumtreiben. Abends unter der Bettdecke kamen dann halbherzige Versuche, das Versäumte nachzuholen. Aber ein ganzer Nachmittag im Freien macht müde und morgens hat die Zeit dann auch nicht gereicht. Irgendwann hatten wir einen Aufsatz zu schreiben mit der erbaulichen Themenstellung „Mein schönster Ferientag“. Die Zeit hatte bei mir für diesen Aufsatz wieder einmal nicht gereicht. Wir sollten unsere Hefte herausholen und stichprobenartig unsere Meisterwerke vorlesen. Ich wurde aufgerufen, schlug mein Heft auf und begann zu lesen. Nun ist es nicht ganz leicht, einen Aufsatz von völlig leeren Seiten abzulesen. Ich war hochkonzentriert und selbst bei jedem Satz erstaunt, wie gut mir der Aufsatz geglückt war. Vor lauter Konzentration hatte ich leider nicht mitbekommen, dass unsere Deutschnonne, Schwester Michaele, hinter mich getreten war... und ihren Augen kaum traute. So viele Wörter, von so leeren Seiten. Als sie dies Verbrechen schilderte, ist meine Mutter in schallendes Gelächter ausgebrochen. Schwester Michaele war noch empörter und prognostizierte, dass bei der Neigung zum Betrug und bei der allzu laxen Erziehung eine furchtbare Zukunft auf mich warten würde. Niemals würde ich es im Leben zu etwas bringen. Recht hat sie behalten, die Schwester Michaele. Noch immer stehe ich Abend für Abend vor versammelter Mannschaft und lese Texte aus leeren Heften. Und es macht mir und dem Publikum sogar empörenderweise Spaß. Meine jüngste Tochter hat inzwischen übrigens sehr gut rechnen gelernt. Aber Mathe ist schon lange nicht mehr ihr Lieblingsfach.
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