Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

CocoonDance: „No Body But Me“
Foto: Klaus Fröhlich

Neugierde, die wehrlos macht

27. Juli 2017

Rafaële Giovanola spricht über die Faszinationskraft des Körpers – Tanz in NRW 08/17

Was ist Tanz? Was unterscheidet die Bewegung des Alltags von der auf der Bühne? In Zeiten, in denen das Ballett den Tanz beherrschte, war diese Frage leicht zu beantworten. Rafaële Giovanola, Choreografin der CocoonDance Company in Bonn, hat die klassische Ausbildung bei Marika Besobrasova in Monte Carlo genossen. Aber schon als sie zu William Forsythe nach Frankfurt wechselte, veränderte sich ihr Blick auf den Körper. Heute zeigt sie sich beeindruckt von den Bewegungen eines achtjährigen Kindes, das auf seine Weise tänzerische Herausforderungen löst. Die Bewegungen eines nicht ausgebildeten Körpers zu betrachten, vermittelt ihr immer wieder überraschende Momente der Schönheit. Und sie weiß aus Erfahrung, „wie emotional das Publikum auf solche Körper reagiert“.

„Früher dachten wir, tanzen heißt acht Stunden am Tag trainieren“, sagt sie. Aus ihrer Arbeit mit Jugendlichen in der Junior Dance Company, weiß sie, dass es auch darauf ankommt, „Anregungen aus anderen Quellen zu nehmen“. So arbeitete sie mit Kindern und Flüchtlingen, beobachtet „den Instinkt für die Bewegung, die Besonderheit der Körper. Die Schönheit zu sehen, dass jemand tanzt wie ein Mensch und nicht wie ein Tänzer“, rührt sie. Auch formal verändert das ihre Arbeit: „Es kommt nicht immer darauf an, eine Geschichte zu erzählen, sondern sein Material zu finden. Sich zu öffnen für den Körper als komplettes Medium.“ Die Faszination des untrainierten Körpers in seiner Grazie und seiner natürlichen Trägheit, hat ihr jedoch nicht die Begeisterung für den professionellen Tanz genommen.

Der Körper spricht zu uns, er ist das Medium. Der Tanz hingegen stellt das Vokabular zur Verfügung, mit dem man das Publikum seinerseits in Bewegung versetzt. Professionelle Tänzer bestechen für Rafaële Giovanola durch Geschwindigkeit und extreme Virtuosität. „So entsteht eine hypnotische Wirkung. Man kann die Augen nicht von ihrem Körper lösen, eine Magie, die uns neugierig macht und gegen die wir uns nicht wehren können.“ Giovanola erinnert sich, dass sie in ihrer Produktion „Pieces of Me“ nur den Bewegungen des Hüftgelenks gefolgt ist, der Körper sollte das Kommando übernehmen. Das Ergebnis war ein Stück, das manche Betrachter als irritierend erotisch empfanden.

Publikum, das sind wir alle. Ein Thema, dass Rafaële Giovanola und Reinald Endraß in ihren Choreografien für CocoonDance seit Jahren beschäftigt und dem Publikum in NRW elektrisierende Produktionen bescherte. In „What About Orfeo?“ blicken die Zuschauer über Spiegelungen auf die Tänzer, in „No Body But Me“ schaut das Publikum aus der Perspektive einer Filmkamera auf die Akteure. Wenn die Männer und Frauen, die da tanzen, uns ganz nahe kommen, dann wird einem bewusst, dass wir nicht nur beiläufige Voyeure sind, sondern Voyeurismus unverzichtbar für die Tanzkunst ist. Wir werden mit einem Teil von uns konfrontiert. Giovanola gesteht, dass sie plötzlich einen anderen Blick auf die Pornografie gewann. „Der Körper führt uns irgendwo hin, wo wir normalerweise nicht hingehen würden“, erklärt sie. Tanz, das ist offenbar das Abenteuer sinnlicher Erkenntnis.

Nächste Produktion: CocoonDance: „Ghost Trio A – corps furtifs“ | R/Ch: Rafaële Giovanola | 15.(P), 16.9. 20.30 Uhr | World Conference Center Bonn | 0228 50 20 13 13

Thomas Linden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24

Liebe und Gewalt
„Told by my Mother“ in Mülheimer a.d. Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/24

Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24

Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24

Hochzeiten und Hüte
„Hello, Dolly“ am MiR in Gelsenkirchen – Tanz an der Ruhr 01/24

Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24

Trainingsraum für Begegnungen
„Nah“ im Maschinenraum Essen – Tanz an der Ruhr 11/23

Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23

Schwofende Schwellenfigur
„Don Q“ am Musiktheater im Revier – Tanz an der Ruhr 10/23

Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23

„Bei uns klebt sich keine:r fest“
Dramaturgin Sarah Israel über das Krefelder Tanzfestival Move! – Premiere 10/23

Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23

Tanz.

Hier erscheint die Aufforderung!