Sie war eine Entdeckung im Musikprogramm der letztjährigen Ruhrtriennale: Mina Richman, die als Support für Anna Calvi in Duisburg mit ihrem sympathischen Auftreten dem kühl-distanzierten Hauptact beinahe die Show gestohlen hat (https://www.trailer-ruhr.de/anna-calvi-mina-richman-ruhrtriennale). Kürzlich hat die Musikerin mit iranischen Wurzeln ihr erstes Album veröffentlicht und ist nun unterwegs, um dieses zu promoten. Die Tour führt sie dabei auch in die Recklinghäuser Altstadtschmiede. In dem soziokulturellen Fachwerkbau ist man schon „bauartbedingt“ nah an der Bühne. Leider haben die Veranstalter ein paar Stehtische mit Barhockern im Hintergrund platziert, an denen einige Zuschauer sich festsetzen, so dass vor der Bühne zunächst unnötig viel Raum bleibt. Diese Situation sowie der Umstand, dass ausgerechnet die Akustikgitarre zu Beginn Soundprobleme bereitet, lässt die Musikerin aber kaum mit der Wimper zucken. Ohne lange Vorreden startet sie ihr Set mit „Leave“, einem jazzig-ruhigen Song im warmen Stil einer Norah Jones und umgehend hat sie ihr Publikum in den Bann gezogen. Danach beginnt sie, ihre Songs anzumoderieren, kleine Geschichten zur Entstehung oder Hintergründen zu erzählen. Sie erzählt vom Aufwachsen in Bad Salzuflen, dem Überqueren roter Ampeln („Jaywalker“) oder auch dem Vermitteln zwischen streitenden Eltern („Referee“). Und sie erzählt von ihrer nachmittäglichen Ankunft in Recklinghausen, von dem Spielzeugladen, der außergewöhnliche Kuscheltiere führt, aber leider schon geschlossen war. Sie bekennt sich zu ihrer Liebe zu Kuscheltieren und dazu, die Plüsch-Erdbeere oder den Plüsch-Brokkoli dem traditionellen Teddybären vorzuziehen. Das Anders-Sein durchzieht Mina Richmans bisheriges Leben wie ein roter Faden und ist so auch Grundtenor ihrer Songs.
In Plauderlaune
Mina Richmans Plaudereien sind geprägt von einer guten Beobachtungsgabe, einer Menge Humor und einer sehr ordentlichen Prise Selbstironie. Musikalisch gehen sie und ihre Mitstreiter hingegen weit ernsthafter zu Werk. Bassist Alex Mau, Gitarrist Fredrich Schnorr von Carolsfeld und Mina Richman sind bestens aufeinander eingespielt, die Kommunikation braucht in der Regel noch nicht einmal einen Augenaufschlag. Dass Schlagzeugerin Lisa Türk an diesem Abend für den Stamm-Schlagzeuger Leon Brames eingesprungen ist, merkt man allerhöchstens daran, dass sie etwas konzentrierter die Mitmusiker im Blick behält. Insgesamt präsentiert sich die Band als überzeugende Einheit. Stilistisch lässt sich Mina Richman nicht so leicht in Schubladen packen. Barjazz vermischt sich mit Soul und Singer-Songwriter-Pop, doch auch rockige Töne sind zu hören oder eine Spur Reggae bei „Something to rely on“.
Protest an der Ukulele
Recht früh im Set streut Richman den einzigen Coversong des Abends ein. Mit „50 Ways to Leave Your Lover“ von Paul Simon taut sie das vorwiegend nicht mehr ganz so junge, aber durchaus begeisterungsfähige Recklinghäuser Publikum auf. Die Stehtische werden zwar noch festgehalten, doch an den Rändern zeigt sich Bewegung. Nach ungefähr der Hälfte des Sets wird Mina Richman ernster, die anderen Musiker haben die Bühne kurz verlassen und sie widmet „Baba said“ nicht nur den Frauen, sondern allen regimekritischen Menschen im Iran. Sie habe sich geschworen, erzählt sie, den Song so lange zu spielen, bis sich die Lage im Heimatland ihres Vaters bessert und man merkt ihr an, dass es sich um keine leicht dahergesagte Floskel handelt. Eindrucksvoll zeigt Richman, dass ein energischer Protestsong auch mit Ukulele funktioniert. Es bleibt hoch emotional, als die anderen Musiker zurückkehren und mit „Grown up“ der Titelsong des Debütalbums folgt, in dem Richman Erinnerungen an Urlaube im Iran verarbeitet – sehr privilegierte Blicke in eine Gesellschaft, in der sie letztlich nicht leben musste. Den mit Rap-Passagen arbeitenden Song lässt sie fast übergangslos in „Too young“ münden, der sich musikalisch höchst emotional entlädt. Hier schlagen Richman und Band einen weitaus raueren Ton ein als in der Albumversion.
Zum folgenden „Song of consent“ lädt sie das Publikum ein, näher zu treten und endlich locken die tanzbaren Klänge von den Stehtischen nach vorne. Richman verzichtet auf das Ritual, vor der Zugabe von der Bühne zu gehen und sich lange bitten zu lassen („dafür stehe ich viel zu gerne hier oben und mache für euch Musik“). Sie endet ihr Set noch einmal ganz alleine mit „The Woman I Am Now“, einem Song, der eigentlich eine Klavierballade ist, den sie aber auf der Ukulele zu lieben gelernt hat. Welch eine Frau Mina Richman ist, das haben die begeistert applaudierenden Zuschauer an diesem Abend erfahren, denn mit jedem ihrer Songs lässt sich Richman mehr als nur ein klein wenig in ihre Seele blicken. So schafft nicht nur die intime Location eine Nähe zwischen Publikum und Künstlerin, die ihresgleichen sucht. Absolute Empfehlung!
Nochmal Im Ruhrgebiet ist Mina Richman Ende Juni zu erleben, wenn sie beim diesjährigen Traumzeit-Festival in die Industriekulisse des Duisburger Landschaftsparks zurückkehrt.
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