Seit der MeToo-Bewegung melden sich immer mehr Betroffene von sexueller Belästigung und Gewalt zu Wort. Doch das Thema scheint weiterhin ein Tabu zu sein, speziell, wenn es um Übergriffe am Arbeitsplatz geht.
Auf dem Campfire Festival diskutierten am Samstag Schauspielerin und „Demokratie in Bewegung“-Vorsitzende Julia Beerhold und Politikredakteurin Miriam Scharlibbe unter der Leitung der CORRECTIV-Reporterin Marta Orosz über das Gleichstellungsgesetz, Machtausnutzung und die Zwickmühlen der künstlerischen Arbeit.
„Es geht um Augenhöhe, es geht um Respekt.“ Mit diesen Worten fasst die Politikredakteurin der Neuen Westfälischen Miriam Scharlibbe schon nach kurzer Zeit zusammen, worum es bei der ganzen Debatte eigentlich geht. Die im Bundesvorstand der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in Ver.di sitzende Scharlibbe erklärt weiterhin, dass im Gleichstellungsgesetz genau steht, was alles erlaubt ist und was nicht. Für den Arbeitsplatz als geschütztem Raum gelten sogar noch härtere Regeln, als im privaten Bereich. Doch das Wichtigste sei, ob sich eine Person erniedrigt fühlt oder nicht. Das muss nicht direkt der Griff an den Hintern sein, schon die Hand auf der Schulter kann zu viel Nähe bedeuten. Nähe sei auch im künstlerischen Bereich ein entscheidender Faktor, so die aus der Lindenstraße bekannte Julia Beerhold. Oft muss man sich als Frau sehr genau überlegen, ob man nach einer Vorführung oder, wie Scharlibbe ergänzt, nach einer Podiumsdiskussion noch mit in eine Gaststätte gehe, um die nötigen Kontakte zu knüpfen und weitere Informationen zu sammeln. Die Gefahr, dass jemand diese Nähe ausnutzt, sei immer gegeben.
Zusätzlich zu der Problematik der ungleich verteilten Machtstrukturen, die vermehrt unter weißen Männern aufgeteilt und bei inoffiziellen Treffen gefestigt werden, spielt auch der Punkt der Care-Arbeit mit in solche Überlegungen hinein. Der Großteil der Kindererziehung wird immer noch von Frauen geleistet, wodurch z.B. eine Journalistin mit Kindern nicht bis spät nachts ausgehen kann. Auch in der künstlerischen Branche ist dies nicht zwangsläufig anders, so Beerhold weiter. Viele stecken auch hier in klassischen Rollen fest und verschließen vor wichtigen Problemen die Augen. Anders kann sie sich die Petition „Free Roman Polanski“ nicht erklären, in der reihenweise Künstlerinnen forderten, den Regisseur Roman Polanski zu entlasten, obwohl belegt ist, dass er sich an einer Minderjährigen vergriffen hat und sich seit über 40 Jahren der Justiz entzieht. „Ich habe mehr erwartet von der deutschen Kulturlandschaft“, sagt Beerhold abschließend dazu.
Bevor die Diskussion für das Publikum geöffnet wird, wirft Scharlibbe noch ein, dass es, auch durch solche Petitionen, immer noch zu wenig Vorbilder gibt, die zeigen, dass man als Frau sehr wohl gegen sexuelle Gewalt ist und trotzdem Jobs bekommt. Zu schnell würde man als „zickig“ und „sensibel“ abgestempelt. Hier wirft eine Besucherin ein, dass dies auch dazu passe, dass selbst Frauen untereinander nicht kameradschaftlich seien und unter anderem sagen, „man solle sich nicht so haben“. Der Wunsch „dazu zu gehören“ sei größer, als die Hilfe untereinander. Ein weiterer Besucher gibt zu bedenken, dass es ihm so vorkommt, als seien Frauen früher, also in den 70ern emanzipatorischer unterwegs gewesen. Dies greifen Scharlibbe und Beerhold auf und betonen zum Schluss, wie notwendig es sei, Bande zu knüpfen und solidarisch zu sein. Haltung zu zeigen, sei heutzutage wichtiger denn je.
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