An der Ausstellung von Wolfgang Tillmans kommt man in diesen Wochen nicht vorbei. K21 in Düsseldorf zeigt derzeit eine dicht vibrierende, immer wieder überraschende Werkschau des 1968 geborenen, in London und Berlin lebenden Künstlers, der dem Medium Fotografie neue Impulse verliehen hat und damit international erfolgreich ist. Tillmans schließt in seiner Kunst zunächst einmal nichts aus, er dokumentiert das zeitgenössische urbane Leben, arbeitet dazu mit einem motivischen Spektrum vom Portrait über die Landschaft und das Himmelsbild bis zum Stillleben und gelangt noch zu gänzlich abstrakten lichthellen Farbräumen: Die Offenheit und Experimentierfreudigkeit ist Konzept seiner künstlerischen Arbeit. Tillmans fotografiert mit s/w wie auch mit Farbe, er stellt klassische Abzüge ebenso wie Fotokopien, Tintenstrahl- und Laserdrucke her, die noch frei an der Wand hängen können oder als Zeitschriftenmaterial plan auf Tischen liegen. Tatsächlich aber ist hier nichts beliebig; selbst die Präsentation hat Tillmans vor Ort arrangiert, und so lapidar manches zunächst erscheinen mag: Immer geht es Tillmans auch um eine Forschung am Bild mit unseren heutigen Möglichkeiten und Verfahren des Sehens. Aber sind die Bilder von Tillmans nicht auch direkt gesellschaftskritisch? „Ich möchte, dass die Arbeit Wirkung zeigt“, sagt Wolfgang Tillmans. „Aber ohne dass ich ein politischer Künstler bin.“ Tatsächlich ist das Spektrum zu weitläufig, um seine Kunst zu vereinnahmen. Und auch wenn Tillmans in Werkgruppen arbeitet, so ist jedes Bild doch ein eigenes Erlebnis voller Intensität und immer mit der Aura der Einmaligkeit.
Auf eine sehr andere Weise hat sich Erwin Blumenfeld vor sieben Jahrzehnten mit den Maßnahmen der Fotografie in die Bilderflut seiner Gegenwart eingeklinkt. Aber es ist spannend, mit der Erfahrung der Werke von Tillmans auf seine fotografische Arbeit zu schauen. Erwin Blumenfeld (1897-1969), der früh vom Dadaismus beeindruckt war, emigrierte 1941 nach New York, wo er schon zwei Jahre später ein Fotostudio eröffnete und für zwei Jahrzehnte zu einem der bestbezahlten Modefotografen der führenden Magazine aufstieg. Blumenfeld „bespielte“ die Cover und die Ausklapper, wobei seine eigenen Abzüge oft von den Zeitschriften-Versionen abweichen. Auch das belegt die Ausstellung im Museum Folkwang, die ausgesprochen frisch auftritt. Sie arbeitet mit Regalen, Vitrinen und Referenzmaterial, sie berücksichtigt exemplarisch das Frühwerk und würdigt Blumenfeld als wichtigen Künstler seiner Zeit, der trotz des angewandten Mediums zu einem eigenen Stil gefunden hat. Blumenfeld entdeckt die Farbe und betont deren leuchtende Transparenz. Wie ein Regenbogen fächert er sie auf und lässt dazwischen die Models auftreten. Und er zeigt in dieser Zeit sehr mutige Motive, etwa knallrote Lippen mit einer milchig rauchenden Zigarette – natürlich nimmt er da schon Momente der Pop Art vorweg. Sowohl Blumenfeld als auch Wolfgang Tillmans bedienen sich des Zeitgeistes und dechiffrieren ihn: Damit sind die Fotografien beider Künstler radikal und immer wieder verblüffend.
„Wolfgang Tillmans“ I bis 7. Juli I K21 Ständehaus der Kunstsammlung NRW, Düsseldorf I www.kunstsammlung.de
„Blumenfeld Studio“ I bis 5. Mai I Museum Folkwang, Essen I www.museum-folkwang.de
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