Sechs Jahre waren es, die Klaus Bittermann mit seinem Freund, dem Satiriker Wiglaf Droste zusammenlebte, wie sein Herausgeber an diesem LesArt-Abend erzählt. Um noch gleich eine aufschlussreiche Anekdote hinzuzufügen: Als Droste damals bei ihm in Kreuzberg einzog, hielt kein Umzugstransporter vor der Tür. Nein, der Journalist brachte genau vier Dinge mit in die neue WG: eine Bücherkiste, eine Schreibmaschine sowie zwei Obstkisten. Wofür? „Auf einer Kiste saß er, auf der anderen Seite stand die Schreibmaschine“, erklärt Bittermann.
Offenbar benötigte Droste nur diese spartanische Einrichtung, um seine Messer der Satire zu wetzen. Seine polemischen Stiche saßen jedenfalls - bei sozialdemokratischen Kriegstreibern wie Rudolf Scharping, bei denkfaulen Aktivist:innen, linksesoterischen Schwurblern oder Neu- wie Altrechten. Der langjährige Kolumnist der taz und der jungen Welt keilte und pöbelte in seinen Texten, als wäre die Sprache eine Waffe. Schließlich begriff der im Mai 2019 verstorbene Droste die Satire als Notwehr.
Wortgewalt
Unter dem Titel „Teach me laughter, save my soul“ würdigten ihn seine einstigen Freunde und Weggefährten mit einem Musik- und Leseabend, darunter der Kabarettist Fritz Eckenga, der Songschreiber Danny Dziuk, die Journalisten Ralf Sotscheck und Rayk Wieland sowie der bereits erwähnte Klaus Bittermann.
Wer dieser Wiglaf Droste war, zeigt eingangs ein von Bittermann in Auftrag gegebener Kurzdokumentarfilm. Natürlich fehlt nicht das wütende Echo, das in den 1990er-Jahren seine Kurzgeschichte „Der Schokoladenonkel bei der Arbeit“ hervorrief. Feminist:innen witterten eine Pädophilie-Verharmlosung. Und griffen während Drostes Lesungen zu Buttersäure oder boykottierten die Veranstaltungen. Bis der Satiriker auch die Fäuste sprechen ließ und sich mit einem Demonstranten prügelte, wie eine Szene zeigt.
Dieser Wüterich der Worte las die Gewalt, die in der Sprache waltet. In einem Interview prangerte er den militaristischen Diskurs rund um den völkerrechtwidrigen Angriffskrieg der BRD auf Jugoslawien an. Denn Politiker wie Gerhard Schröder oder Joschka Fischer mobilisierten für den Krieg nicht nur mit Auschwitz-Vergleichen, sondern auch mit Euphemismen, die Droste im TV-Gespräch kritisiert: Eingriff oder Intervention. Wie Droste wohl über die Wortwahl nach der Afghanistan-Katastrophe („Verantwortung“, „robustes Mandat“ etc.) urteilen würde?
„An Mülltonnen schnuppern"
Fritz Eckenga fragte jedenfalls auf der Bühne, wie sich sein langjähriger Freund heute über so manche Themen geäußert hätte. Aber, so Eckenga: „Andererseits hat er so viel geschrieben, als wäre es gerade erst entstanden.“ Wer lässt sich etwa glänzender zitieren, wenn erneut die Idee auftaucht, doch mal mehr mit Nazis zu reden? Wiglaf Droste: „Alle Welt sucht das Gespräch mit Rechtsradikalen. Warum? Haben sie einem etwas zu sagen? Ist nicht hinlänglich bekannt, was sie denken, fordern und propagieren? Wo liegt der beschworene aufklärerische Wert, wenn Henryk Bröder in der Tageszeitung Franz Schönhuber interviewt? Muß man an jeder Mülltonne schnuppern?“
Doch dieser „Tucholsky von heute“ (Willi Winkler) holte nicht nur zur polemischen Empörung aus, sondern zelebrierte ebenso die feinen Kalauer. Eckenga liest im Domicil etwa ein Gedicht, das Drostes Begeisterung für den Dortmunder „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ demonstrierte. Max von der Grün und Co. setzten sich literarisch mit dem proletarischen Dasein in der frühen BRD auseinander. Bei Droste fällt die Würdigung konziser aus: „Ich stand / am Band.“ Es wundert nicht, was Ralf Sotscheck schließlich über ihn erzählt: Der langjährige Kolumnist und Kommunist institutionalisierte irgendwann eine Kalauerkasse.
LesArt. Festival l 2. bis 14.11. l div. Orte in Dortmund l www.lesart.ruhr
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