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Joachim Zelter liest aus seiner Novelle „Wiedersehen“
Foto: Julia Deppe

Wir müssen reden

11. November 2015

Thomas Raab und Joachim Zelter beim Les.Art Festival im Literaturhaus – Literatur 11/15

Die Idee hinter dem Konzept Lesung ist einfach: Ein Autor setzt sich vor das Publikum und liest aus seinem Werk vor. Aber das ist nicht alles. Es geht vor allem darum, sich mit Gleichgesinnten zusammenzufinden, Autoren zu treffen, mit ihnen zu sprechen und unkompliziert einen spannenden Abend zu haben.

Das Les.Art Festival als dieser „Ort“ für Literatur ist inzwischen zur Institution geworden. Einmal im Jahr gewähren Autorinnen und Autoren einen Einblick in die aktuelle Literaturszene des Ruhrgebiets. Mitten im Dortmunder Kreuzviertel stellten Thomas Raab und Joachim Zelter im Literaturhaus ihre neuen Texte vor.

Um den Zustand unserer heutigen Gesellschaft und die drängenden Fragen der Gegenwart geht es beiden Autoren. Dazu versetzt Thomas Raab die Handlung in seinem Roman „Die Netzwerk-Orange“ kurzerhand ins Jahr 2025. Ähnlich einer Apfelsine besteht die namengebende „Netzwerk-Orange“ aus zwölf Teilen.

Die Welt ist völlig technisiert und statt individueller und lebendiger Figuren treten zwölf personifizierte Sinusmilieus auf, die die Netzwerk-Orange bevölkern und noch die Summe ihrer Eigenschaften sind, vermessen von Wissenschaftlern und überwacht von einem Ministerium. Aber sie werden nicht im Orwell´-schen Sinne in einem beängstigenden Überwachungsstaat bewacht. Die Menschen fühlen sich wohl in ihrer Haut, alle tun das gleiche, finden das gleiche gut und es wird niemand durch Individualität gestört. Der Wert der Person bemisst sich ganz einfach an ihrem Einkommen und ihrer Konsumfreude.

Genau das empört Raab: Der Mensch als Einzelwesen ist irrelevant geworden. Was der Mensch ist, das bestimmt die Wirtschaft und alle machen mit: „In der Welt der Netzwerk-Orange gibt es keine Bösen mehr, sondern nur noch Dumme.“ Die Technik diene dazu, die Außenwelt zu manipulieren. Während Thomas Raab liest, sucht er immer wieder den Kontakt zum Publikum. Er unterbricht, erläutert und streut immer wieder spontan Anekdoten und Ideen ein.  

Seit seiner „Schule der Arbeitslosen“ für seine sozialkritische Sichtweise bekannt, packt Joachim Zelter das Thema anders an. In seinem Fokus steht der Bildungsbürger. Ein Schüler trifft seinen ehemaligen Lehrer nach über zwanzig Jahren wieder. Er hat ihn als inspirierende Person in Erinnerung, die an den Lehrer aus dem Club der toten Dichter erinnert.

Beim Wiedersehen eskaliert die Situation. Der eitle und skrupellose Lehrer demütigt seinen Schüler. Durch seine sehr betonte Art vorzulesen gelingt es Zelter allein durch seine Stimme, die Zuhörer in die Gedankenwelt des Schülers hineinzuziehen. Um die Eskalation geht es Zelter, wie er sagt, die in eine kafkaeske, immer groteskere Situation führt, an dessen Ende sich der Zögling schockiert und endgültig von seinem geistigen Vater abwendet und sich von ihm emanzipiert.

Mehr erfährt man anschließend bei Bionade, Weißwein oder Cola nebenbei, als sich die Autoren nach der Lesung ganz unkompliziert unter das Publikum mischen. Eine tragbare Zukunftsvision für die Gesellschaft bieten beide Werke nicht an: Weder die technisierte Welt, noch der eitle Bildungsbürger.

Julia Deppe

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