Alle redeten sie über das Ende des diesjährigen Lüdia-Preisträgers. Barbara Höpping etwa, die durch diesen Abend moderierte, an dem die Gewinner des 28. Kinofestes Lünen gezeigt wurden. Schon die Jury um Hans W. Geißendörfer äußerte sich irritiert über die finale Sequenz, als sie „Somewhere in Tonga“ sichtete. „Toller Film, aber scheiß Ende“, so das Resümee. Das erzählt zumindest die Festival-Moderatorin jetzt im Kinosaal. Und auch mit dem Regisseur selbst sprach Höpping zuvor darüber. Denn Regisseur Florian Schewe griff mit seinem Streifen eine reale Begebenheit auf, nahm sich aber künstlerische Freiheiten heraus – vor allem beim Schluss. „Die Realität ist wesentlich freundlicher“, verrät Höpping die Erkenntnisse, die sie aus dem Gespräch mit dem Filmemacher zog. Und sie fragte auch das Publikum im ordentlich gefüllten Kinosaal 2 der Cineworld: „Was sagen Sie zum Schluss?“ Und es schwieg. Lange. Vielleicht weil es sich so berührt oder noch noch überrumpelt fühlte? Von diesem Schluss.
Daher erst mal der Reihe nach. „Somewhere in Tonga“ wurde am Sonntag nach vier Festivaltagen und etlichen Filmvorführungen als Doppelpreisträger sowohl mit dem mit 10.000 Euro dotierten Publikumspreis LÜDIA als auch mit dem Schülerfilmpreis 16+ gekürt. Ein Film, der zunächst gar nicht so unkonventionell ins Rollen kommt: In Berlin: der Sozialarbeiter Wolski (Sascha Alexander Geršak) soll sich des 16-jährigen Marcel (Luis Pintsch) annehmen. Ein schwieriger Fall: vorbestraft, drogenabhängig und seinen vorigen Betreuer hat der Jugendliche im Rausch niedergestochen. Doch beim unkonventionellen wie bärbeißigen Wolski prallt der aufmüpfige Marcel ab. Dass der Sozialpädagoge selbst nur knapp einer Gefängnisstrafe entging, das erfährt man erst später in einem vertraulichen Dialog zwischen den beiden. Da befinden sie sich schon längst auf einer einsamen Insel. Denn Wolski stellt seinen Klienten vor die Wahl: Südsee oder Knast?
Hier, auf der unbewohnten Insel im südpazifischen Tonga will der Sozialarbeiter ein Resozialisierungsprojekt für Jugendliche ins Leben rufen. Selbstverständlich wehrt sich Marcel gegen das geplante Vorhaben, eckt mit Bewohnern an, bis es auch zu einem Zwischenfall kommt.
„Somewhere in Tonga“ ist ein Sozialdrama vor postkarten-idyllischer Kulisse, in der Fragen nach Vergebung und einer zweiten Chance gestellt werden. Wenn der widerspenstige Marcel, der ohne Familie aufwuchs, schließlich auftaut und Vertrauen an diese Vaterfigur Wolski fasst, greift diese Robinsonade Coming-of-Age-Muster auf, die nicht unkonventionell sind. Umso überraschender schließlich der Schluss.
Bei aller Diskussion darüber ging fast unter, wie bewegend auch der zweite Preisträger ist, der an diesem Abend gezeigt wurde: „Watu Wote – All of us“, geehrt mit dem Publikumspreise in den Kurzfilmwettbewerben und zuvor bereits mit dem Studierenden-Oscar ausgezeichnet. Der deutsch-kenianische Kurzfilm von Katja Benrath greift ebenso eine wahre Begebenheit auf. Am 21. Dezember 2015 wird an der Grenze zwischen Kenia und Somalia ein Reisebus von islamistischen Milizen überfallen, die es auf die christlichen Passagiere abgezielt haben. Benrath schildert diesen Vorfall aus der Perspektive einer jungen, allein reisenden Christin, die sich fremd in diesem Bus voller Muslime fühlt. Eine Parabel über Mut und Toleranz angesichts von Fanatismus. Und auch hier gibt es ein bewegendes Ende. Und schließlich entwickelte sich nach den Vorführungen auch noch eine kleine Diskussion im Publikum.
Der Berndt-Media-Preis für den besten Filmtitel ging in diesem Jahr an „Zwei im falschen Film“.
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