Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
10 11 12 13 14 15 16
17 18 19 20 21 22 23

12.629 Beiträge zu
3.851 Filmen im Forum

Entdeckt neue Sehgewohnheiten: Julian Scholten
Foto: privat

Kino zwischen Animation und Bildgewitter

28. Juli 2016

Ist das immer ein Segen? – Vorspann 08/16

Seien wir doch mal ehrlich, wir mögen es doch, wenn etwas in die Luft gejagt wird. Am besten so schön, wie in Roland Emmerichs Independence Day 2. Doch ich frage mich: Gibt es noch mehr als das? Alle loben die schier unendlich zu scheinenden Möglichkeiten der digitalen Animation. Gegen die, sehen die gebauten Modelle in Independence Day 1 aus wie Pappmaschee. Und man steigt in den Kanon ein, dass „damals“ eben alles schrecklich primitiv war, und aussah, und heute alles ganz toll ist. Aber ist das Kino von heute bloß Segen?

Heute ist amerikanisches Blockbusterkino oft kaum mehr von einem Computerspiel zu unterscheiden. Animierte Kamerafahrten, in denen die Bilder in einer Bewegungsunschärfe zu Gelee verschwimmen. Die Stofflichkeit von Dingen, sie ist nicht mehr zu erkennen. Aber ist das großväterlich gebaute Modell nicht manchmal ein ehrlicherer und besserer Special Effect als animierte Pixel? Ein Modell, das durch Tricktechnik zum Leben erweckt wird – so, wie die Titanic einst bei Cameron. Ein Modell, das es wirklich gegeben hat, Stofflichkeit und Material besitzt. Ich glaube, Film schafft immer noch die phantastischsten Bilder, wenn er sich wieder mehr auf die Konstanten beruft, die einst seine Grundlage bildeten: Das ist das klassische Bühnenbild, das sind Elemente der Bildhauerei, der Malerei sowie der Maske. Vielleicht sind uns deshalb auch die Märchenfilme der DEFA aus den 50er und 60er Jahren näher, erscheinen sie uns ehrlicher als die neuesten Animationen aus der Pixar-Schmiede.

Bilder, die eine Tiefe besitzen, weil sie Kunstformen aus Malerei und Bildhauerei vereinen. Bilder, die nicht nur dafür da sind, Handlung zu illustrieren, sondern für sich stehen können – vielleicht ähnlich, wie die Malerei für sich steht. Doch jene Bilder können nur stehen, wenn wir die Zeit haben, sie wahrzunehmen und sie nicht im Bildgewitter eines schnellen Editings gänzlich untergehen. Vielleicht ist das der 2. große Fluch des Kinos von heute. Welcher Filmemacher vertraut noch seinen Bildern und traut sich an lange Einstellungen heran. Einstellungen, in denen wir selber entscheiden können, was wir sehen wollen und Filmbilder noch wirken können, statt dass wir sie als Bilderflut vorgesetzt bekommen. Manchmal möchte man fragen, schaffen wir es noch uns auf Einstellungen jenseits der 20 Sekunden zu konzentrieren? 20 Filmsekunden können verdammt lang sein, aber auch schön.

Natürlich, das alles sind Trends, denen der Film unterlegen ist. Das verändert Sehgewohnheiten. Und inmitten dieser werden alte, vergessene Bildwelten schnell zu etwas Neuem. Neu ist schließlich auch immer das, was man nicht kennt. Neu ist demnach auch das, was im August in Bonn stattfindet. Wenn die Internationalen Stummfilmtage zwischen dem 11. und dem 21. August wieder dazu einladen, in längst vergessene Bildwelten einzutauchen. Bildwelten, die wir nicht mehr kennen und die uns wirklich überraschen, Bildwelten aus künstlich Erschaffenem, aus Malerei und Bildhauerei. Jene Bildwelten, die uns nicht führen und vorgeben, sondern uns das Spiel noch selber entdecken lassen. Denn Stummfilm ist mehr als bloß Film ohne Ton, mehr als Overacting und Schminke. Und so sind die Stummfilmtage vielleicht eine willkommene Gelegenheit, um sich in der Ruhe des Hochsommers auf neue Bildwelten einzulassen, bevor die nächste Blockbustersaison im September wieder in den Startlöchern steht.

Julian Scholten

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Neue Kinofilme

Predator: Badlands

Lesen Sie dazu auch:

Mit dem Rotstift ans Kino
Förderkürzungen bedrohen die Filmfestivals im Ruhrgebiet – Vorspann 11/25

Der Meister des Filmplakats
Renato Casaro ist tot – Vorspann 10/25

Weinende Wände
Das Filmtheater als Begegnungs- und Spielstätte – Vorspann 09/25

Sommerkino als Filmarchiv
Kollektives Gedächtnis statt Konserve – Vorspann 08/25

Kinofest-Test
Lünen als Versuchslabor für die Kinozukunft – Vorspann 07/25

Mikrodramen vs. Spielfilm
Was können Kinos gegen die Schnipselflut tun? – Vorspann 06/25

Amazon-Bond & beyond
007 ist zum Streaming-Start freigegeben – Vorspann 03/25

Aus unterschiedlichen Galaxien
Im Februar starten Biopics über Bob Dylan und Maria Callas – Vorspann 02/25

Zwischen Helden- und Glückssuche
Die Kinotrends des Jahres – Vorspann 01/25

Besuchen Sie Europa
Die Studie Made in Europe und ihre Folgen – Vorspann 12/24

Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24

Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24

Film.