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Entdeckt neue Sehgewohnheiten: Julian Scholten
Foto: privat

Kino zwischen Animation und Bildgewitter

28. Juli 2016

Ist das immer ein Segen? – Vorspann 08/16

Seien wir doch mal ehrlich, wir mögen es doch, wenn etwas in die Luft gejagt wird. Am besten so schön, wie in Roland Emmerichs Independence Day 2. Doch ich frage mich: Gibt es noch mehr als das? Alle loben die schier unendlich zu scheinenden Möglichkeiten der digitalen Animation. Gegen die, sehen die gebauten Modelle in Independence Day 1 aus wie Pappmaschee. Und man steigt in den Kanon ein, dass „damals“ eben alles schrecklich primitiv war, und aussah, und heute alles ganz toll ist. Aber ist das Kino von heute bloß Segen?

Heute ist amerikanisches Blockbusterkino oft kaum mehr von einem Computerspiel zu unterscheiden. Animierte Kamerafahrten, in denen die Bilder in einer Bewegungsunschärfe zu Gelee verschwimmen. Die Stofflichkeit von Dingen, sie ist nicht mehr zu erkennen. Aber ist das großväterlich gebaute Modell nicht manchmal ein ehrlicherer und besserer Special Effect als animierte Pixel? Ein Modell, das durch Tricktechnik zum Leben erweckt wird – so, wie die Titanic einst bei Cameron. Ein Modell, das es wirklich gegeben hat, Stofflichkeit und Material besitzt. Ich glaube, Film schafft immer noch die phantastischsten Bilder, wenn er sich wieder mehr auf die Konstanten beruft, die einst seine Grundlage bildeten: Das ist das klassische Bühnenbild, das sind Elemente der Bildhauerei, der Malerei sowie der Maske. Vielleicht sind uns deshalb auch die Märchenfilme der DEFA aus den 50er und 60er Jahren näher, erscheinen sie uns ehrlicher als die neuesten Animationen aus der Pixar-Schmiede.

Bilder, die eine Tiefe besitzen, weil sie Kunstformen aus Malerei und Bildhauerei vereinen. Bilder, die nicht nur dafür da sind, Handlung zu illustrieren, sondern für sich stehen können – vielleicht ähnlich, wie die Malerei für sich steht. Doch jene Bilder können nur stehen, wenn wir die Zeit haben, sie wahrzunehmen und sie nicht im Bildgewitter eines schnellen Editings gänzlich untergehen. Vielleicht ist das der 2. große Fluch des Kinos von heute. Welcher Filmemacher vertraut noch seinen Bildern und traut sich an lange Einstellungen heran. Einstellungen, in denen wir selber entscheiden können, was wir sehen wollen und Filmbilder noch wirken können, statt dass wir sie als Bilderflut vorgesetzt bekommen. Manchmal möchte man fragen, schaffen wir es noch uns auf Einstellungen jenseits der 20 Sekunden zu konzentrieren? 20 Filmsekunden können verdammt lang sein, aber auch schön.

Natürlich, das alles sind Trends, denen der Film unterlegen ist. Das verändert Sehgewohnheiten. Und inmitten dieser werden alte, vergessene Bildwelten schnell zu etwas Neuem. Neu ist schließlich auch immer das, was man nicht kennt. Neu ist demnach auch das, was im August in Bonn stattfindet. Wenn die Internationalen Stummfilmtage zwischen dem 11. und dem 21. August wieder dazu einladen, in längst vergessene Bildwelten einzutauchen. Bildwelten, die wir nicht mehr kennen und die uns wirklich überraschen, Bildwelten aus künstlich Erschaffenem, aus Malerei und Bildhauerei. Jene Bildwelten, die uns nicht führen und vorgeben, sondern uns das Spiel noch selber entdecken lassen. Denn Stummfilm ist mehr als bloß Film ohne Ton, mehr als Overacting und Schminke. Und so sind die Stummfilmtage vielleicht eine willkommene Gelegenheit, um sich in der Ruhe des Hochsommers auf neue Bildwelten einzulassen, bevor die nächste Blockbustersaison im September wieder in den Startlöchern steht.

Julian Scholten

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