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Gut gemeint ist er immer: der Applaus
Foto: Jan Schliecker

Jubel zur Unzeit

22. Dezember 2016

Über die Tücken des Applauses im klassischen Konzert – Klassik am Rhein 01/17

„Ist ein Arzt hier?“, ertönt eine unaufgeregte Stimme im Konzertsaal. Das Orchester schwelgt just im Adagio, der Maestro lugt schon mal über die Schulter nach dem Störenfried. Wieder die Stimme: „Ist ein Arzt hier?“ – „Ja!“, antwortet jemand verhalten zehn Reihen vom Rufer entfernt. Die Stimme: „Ist das nicht ein wunderbares Konzert, Herr Kollege?“

Der Mensch will seinen Ohren allein nicht trauen, er möchte „zu zweit alleine sein“, wie es das alte Rheinlied anstimmt, um eine Bestätigung zu erhalten am besten von scheinbar kompetenter Seite. Und der Zuhörer ist nicht allein zum Hören angereist, er möchte auch seiner Begeisterung Luft verschaffen: mit Beifall, Applaus, Ovation, Klatschen, Jubeln. Damit gibt es im Klassikbereich häufiger Probleme.

In der Klassik hält der leider schon verstorbene Luciano Pavarotti den Applausrekord, der in diesem Falle – wie sonst üblich in der Oper – nicht in Vorhängen gemessen wurde. Rund 65 Minuten applaudierte das Berliner „Liebestrank“-Publikum, eine angemessene Menge „Brot des Künstlers“ für den rundlichen Nemorino. Dabei sind in der Klassik die wirklichen heiligen Momente die, wo absolut nichts tönt: Nach einem manchmal einstündigen Kampf durch Sinfonie-Sätze donnert der Schlussakkord, und die berühmte „atemlose Stille“ ergreift die ergriffen schweigende Hörgemeinschaft. Leider ist dies nur selten der Fall. Denn viele Konzertgänger entpuppen sich in genau diesem Moment als reaktionsschnelle selbstberufene Claqueure, die es nun allen zeigen können: Ich bin der begeistertste Hörer im Raum.

Das führt häufig zu Fehl- und Frühzündungen, besonders in den Fällen, wo die künstlerische Gestaltung dem Dirigenten spannungssteigernde Pausen nahe legt. Selbst in diesen nach Auflösung „schreienden“ Momenten schafften es bereits richtige Weltrekordler, drei-vier heftige Klatscher zu setzen. In diesen extremen Fällen verschlägt es allen die Sprache, die ganze Aufführung ist irgendwie versaut, das lässt sich nicht mehr reparieren.

Anders verhält es sich bei den Applaudierern aus Unwissenheit, die nach jedem Musikfetzen die Hände rühren. Sie werden bekanntlich dann mit bösen Blicken gestraft und weggezischt. Hier könnten neue Verhaltensregeln notwendig sein. Historisch gesehen wäre es kein Problem, denn zu Beethovens Zeiten wurde im Konzertsaal auch nach jedem Satz applaudiert, oft sogar Wiederholung gefordert. Das war zum einen der mehrstündigen Länge der Veranstaltung, zum anderen der klirrenden Kälte in den meist unbeheizten Räumen geschuldet. Heute lehrt besonders das Fernsehen den Dauerbeschuss mit enthusiastischen Begeisterungsausbrüchen und Kunstlachern. Peinlich sind die Satzunterbrechungen im Konzert deshalb, weil der tröpfelnde und dann verhinderte Applaus auch den Künstler vor das Problem stellt, den Jubel zur Unzeit zu ignorieren oder z.B. mit einer Verbeugung zu goutieren. Hier würde die Regel „alle oder keiner“ greifen. Keiner funktioniert nicht. Also mehr Toleranz im neuen Jahr, einfach mitmachen. Die Musiker werden es danken.

Olaf Weiden

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