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Kämpft gemeinsam mit Luther und Captain Ahab gegen die Verblödung der Gesellschaft: Jochen Malmsheimer
Foto: Barbara Slotta

Im Kampf gegen die „Arschlochdichte“

26. Mai 2017

Jochen Malmsheimer am 24.5. im Essener Stratmann’s Theater – Bühne 05/17

Jochen Malmsheimer ist nicht leise und auch nicht vorsichtig. Jochen Malmsheimer ist laut und ziemlich direkt, denn Jochen Malmsheimer ist einmal mehr auf der Suche nach Antworten. Wo zum Beispiel all diese Arschlöcher herkommen und wie es dazu kommt, dass eine ganze Generation geistig unterernährt ist. Denn eines steht ja wohl fest: Komisch sind immer die anderen, auch wenn zu Recht die Frage gestellt werden muss, wo in aller Welt all die Komischen zu finden sind, die der AfD bei den Landtagswahlen in NRW von 0 auf 7 Prozent verhalfen.

So politisch wie es sich hier liest, ist Malmsheimers Auftritt nicht von Beginn an. Langes Lachen und tosenden Applaus erntet der Essener Kabarettist und Tausendsassa jedoch ab der ersten Minute und mit Beenden des ersten Satzes. Sein Programm trägt den wohl klingenden Namen „Dogensuppe Herzogin – Ein Austopf mit Einlage“ und kommt geschmeidig daher. Das Theater Stratmanns am Kennedyplatz ist am Abend des 24.5. ausverkauft – ein Heimspiel also. Könnte man meinen.

Aber Malmsheimer lehnt sich nicht zurück, er macht es sich weder einfach noch bequem. In einer aufwändig inszenierten Geschichte voller Anekdoten, die zwischen den Kategorien „möglicherweise-beruhend-auf-wahren-Tatsachen“ und „auf-jeden-Fall-erdacht-oder-vielleicht-doch-nicht“ pendelt, führt er in Hochform durch den Abend und von Essen nach Venedig. Von der eigenen Frau hinterrücks zu einer 12-stündigen Busfahrt in die Stadt der 1000 Brücken verdammt, sieht Malmsheimer keine andere Möglichkeit als einzusteigen und mitzufahren – auch wenn seinen Knien der ständige 45-Grad-Winkel gar nicht gut tut.

Während ihm, dem gezwungenen Ehemann, folglich nichts bleibt außer die übrigen Reisenden sorgfältig und mit viel Liebe zum Detail zu begutachten – und entsprechend zu beschreiben –, ist das Stratmanns auch dann live dabei, als der Protagonist der turbulenten Geschichte in wilde, fieberhafte Träume verfällt. Die ihn umgebende digitalisierte Welt kontrastiert er wirkungsvoll mit den Helden seiner Kindheit und dem Einfluss, den diese hinterließen. Was ist das für eine Generation, die da ständig auf ihr Handy starrt, nebeneinander sitzt und doch lieber miteinander chattet? Tele-phon! Tele heißt nicht „nah“, tele heißt „fern“!

Der Schlüssel zu den verlorenen Söhnen und Töchtern, zu den irrenden Brüdern und Schwestern liegt jedoch nicht im wahllosen Urteilen. Malmsheimers Credo ist nicht allein in der Glorifizierung der Vergangenheit zu finden, und doch lässt sich bei genauerem Hinsehen vieles mit ihrer Hilfe verstehen: Wir sprechen, wie mit uns gesprochen wurde, und ähnlich hören wir auch zu. Das gilt für Arschlöcher genauso wie für Heranwachsende, die wie Odysseus ihren Weg nicht kennen. 

Wenn Bildung also das Bett, Liebe die Mutter und Respekt der Vater ist, kann ein wissendes, aufrichtiges Herz keinen Schaden in der Welt anrichten, sondern nur Schönes schaffen. Doch Helden braucht es dafür – und der Mensch muss wissen, wo sie zu finden sind. Malmsheimer erscheinen sie alle im Traum: Luther, Long John Silver, Winnetou und seine Brüder, Sam Hawkens, Captain Ahab, Robin Hood und Marco Polo. Sie haben eine Bitte an den Kabarettisten, der als einziger wacht, während der Rest der reisenden Busgesellschaft sonor schläft. Kraft des Amtes, das er sich selbst erarbeitet hat, nutzt Malmsheimer den heutigen Abend, jene Bitte vorzutragen. Sie ist simpel und doch nicht weniger wirkungsvoll – ganz nach dem Motto „schlicht besticht": „Lest Bücher. Legt die Handys weg und schaltet die Computer aus. Und wenn Eure Kinder fragen, was Ihr tut, so lest ihnen vor.“ Der Untergang des Abendlandes entscheidet sich nicht in Zuwanderungsstatistiken oder der Anzahl fremder Gotteshäuser. Er ist auch nicht zu fürchten. Zu fürchten ist einzig die Verblödung der Gesellschaft.

Dass Kabarett politisch ist, ist so selbstverständlich wie Weihnachtsbuden auf dem Kennedy-Platz. Doch dass sich ein Kabarettist aus der komfortablen, wenig riskierenden Restaurantkritiker-Haltung löst, um Veränderung hervorzurufen, ist ungewöhnlich. So ungewöhnlich wie eine Busfahrt von Essen nach Venedig mit dem Who-is-Who aus Humanismus und Literatur an Bord. Wer jedoch die „Arschlochdichte“, die „allgemeine, bimssteinerne Generalverblödung“, ja, die „cerebrale Fäulnis“ bekämpfen will, der braucht mehr als einen Duden. Und so bleibt die Hoffnung, dass Malmsheimers Wortgewitter auch ein entsprechendes Echo folgt.

Barbara Slotta

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