Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
30 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11 12 13

12.606 Beiträge zu
3.829 Filmen im Forum

„Man hört sich selber nicht, wenn die Band spielt“, berichtet Sandra DaVina

Entstaubt die Dichtkunst!

28. November 2013

Beim Jazz-Poetry-Slam am 26. November im domicil Dortmund unterstreicht eine Jazz-Band, dass Goethe und Ovid einpacken können

Ein Gedicht muss sich nicht reimen, es muss nicht romantisch, noch nicht mal logisch sein. Beim Poetry Slam muss es vor allem eines: unterhalten. Und beim Jazz-Poetry-Slam? Da wachsen Lyrik und improvisierte Musik zu einem Gesamtkunstwerk zusammen – ohne dabei zur zähen Kulturperformance zu mutieren.

Während ein dumpfes Rauschen aus dem Saxophon hervorquillt, erklärt Moderator Sebastian 23, wie der Poetry-Slam funktioniert: drei Dichter, zwei Runden, sechs Gedichte. Passend zum Motto des Abends startet Poetry-Slammer Jason Bartsch mit einem Werk, das den charmanten Namen „Warum ich Jazz hasse“ trägt. Ganze zehn Punkte zählt er auf, warum ihm die freieste aller Musikrichtungen so an die Nieren geht. „Jazz ist nur was für reiche Leute“ und „Jazz hat die Finanzkrise ausgelöst“, stellt Bartsch als unumstößliche Wahrheiten in den Raum – Bartsch, der Meister der investigativen Poesie.

Rhythmisch, moduliert verfrachtet der Dichter seinen Hass gegen den Jazz vom Zettel ins Mikro. Die Musik nimmt das Tempo seiner Sprache auf. Gitarre und Saxophon zeigen dabei keine Ambitionen, die Töne so zu treffen, wie das an Popmusik gewöhnte Gehör es gerne hätte. In hastigen Worten phantasiert Bartsch von einem fiktiven Hauslöwen, der mit gezielten Bissen die kleinen und großen personellen Schwierigkeiten seines Lebens lösen soll – von den Zeugen Jehovas bis zu unliebsamen Jazzbands, die uns bekanntermaßen vielleicht bald schon in die nächste Wirtschaftskrise jammen könnten.


Moderator Sebastian 23 wird zum Abschluss von der Jazz-Combo verspeist

Zwischen den einzelnen Poeten spielt die Band Improvisiertes. „Könnt ihr ein bisschen etwas Nachdenkliches spielen? Aber nicht Fahrstuhlmusik. Kriegt ihr das hin?“, fragt Dichterin Sandra DaVina die Band. Es folgen sphärische Klänge und klackernde Percussion. Im weißen Minikleidchen dichtet DaVina über die Menstruation und den Tod. „Im Gegensatz zum Leben hält der Tod seine Versprechen“, streut sie eine kleine Weisheit unter ihre humorvollen Ausführungen. Für DaVina ist es der erste Slam mit einer Live-Jazz-Band. „Es ist total komisch: Man hört sich selber nicht, wenn die Band spielt“, sagt sie nach gehaltenem Vortrag. Irgendwann sei sie dann zum Brüllen übergegangen – was der Zuhörer nur als erhöhte Ereiferungsstufe wahrnehmen konnte.

DaVinas Gedanken über den Tod folgt Jan Coenens Sinnieren über das Alter – das aber bitte mit „melancholisch-lebensbejahender“ Musik, wie er von der Band fordert. Und so löst sich ein weiches, gummiartiges, düsteres Jaulen vibrierend von den Saiten der E-Gitarre. Die fast hawaiianisch anmutenden Sounds fallen nach wenigen Sekunden altersschwach zu Boden, während der Zahn der Zeit knirschend über die dicken Metallsaiten des Kontrabasses kratzt. Kurzweilig erzählt Coenen über die Symptome der in vergleichsweise jungen Jahren einsetzende Spießigkeit: „Ich bin nicht mehr Rock‘n Roll. Ich bin Tanztee, ich bin Strickjacke“, sagt er bewusst in letztere gekleidet.

Gewinner des Abends ist Jazz-Kritiker Jason Bartsch, gewählt durch den Applaus des Publikums, prämiert mit einer CD: Lyrik und Musik als Mix. Lasst die Löwen los!

Text und Fotos: Ines Maria Eckermann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Neue Kinofilme

Mädchen Mädchen

Lesen Sie dazu auch:

Tastenlegende auf Tournee
Herbie Hancock in der Philharmonie Essen – Improvisierte Musik in NRW 07/25

Neugier auf Neues
Johanna Summer und Malakoff Kowalski in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 06/25

Alles Posaune
Das Vertigo Trombone Quartet in Neuss – Improvisierte Musik in NRW 05/25

Entgegen der Erwartung
4. stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen – Festival 04/25

Klaviertrio am Puls der Zeit
Das Pablo Held Trio auf der Insel – Improvisierte Musik in NRW 04/25

Tanzen, Schwitzen, Lächeln
Ina Forsman im Dortmunder Musiktheater Piano – Musik 03/25

Künstler der Superlative
Trompetenstar Wynton Marsalis in der Essener Philhamonie – Improvisierte Musik in NRW 03/25

50 Jahre und kein bisschen älter
Das JugendJazzOrchester NRW feiert in Köln Jubiläum – Improvisierte Musik in NRW 02/25

Trotz finanziell angespannter Lage
Konzerte im Kölner Stadtgarten im Januar – Improvisierte Musik in NRW 01/25

Intime Weltenwanderer
Markus Stockhausen und Ferenc Snétberger im Parkhotel Engelsburg – Improvisierte Musik in NRW 12/24

Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24

Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24

Bühne.

HINWEIS