Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
15 16 17 18 19 20 21
22 23 24 25 26 27 28

12.557 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

„Man hört sich selber nicht, wenn die Band spielt“, berichtet Sandra DaVina

Entstaubt die Dichtkunst!

28. November 2013

Beim Jazz-Poetry-Slam am 26. November im domicil Dortmund unterstreicht eine Jazz-Band, dass Goethe und Ovid einpacken können

Ein Gedicht muss sich nicht reimen, es muss nicht romantisch, noch nicht mal logisch sein. Beim Poetry Slam muss es vor allem eines: unterhalten. Und beim Jazz-Poetry-Slam? Da wachsen Lyrik und improvisierte Musik zu einem Gesamtkunstwerk zusammen – ohne dabei zur zähen Kulturperformance zu mutieren.

Während ein dumpfes Rauschen aus dem Saxophon hervorquillt, erklärt Moderator Sebastian 23, wie der Poetry-Slam funktioniert: drei Dichter, zwei Runden, sechs Gedichte. Passend zum Motto des Abends startet Poetry-Slammer Jason Bartsch mit einem Werk, das den charmanten Namen „Warum ich Jazz hasse“ trägt. Ganze zehn Punkte zählt er auf, warum ihm die freieste aller Musikrichtungen so an die Nieren geht. „Jazz ist nur was für reiche Leute“ und „Jazz hat die Finanzkrise ausgelöst“, stellt Bartsch als unumstößliche Wahrheiten in den Raum – Bartsch, der Meister der investigativen Poesie.

Rhythmisch, moduliert verfrachtet der Dichter seinen Hass gegen den Jazz vom Zettel ins Mikro. Die Musik nimmt das Tempo seiner Sprache auf. Gitarre und Saxophon zeigen dabei keine Ambitionen, die Töne so zu treffen, wie das an Popmusik gewöhnte Gehör es gerne hätte. In hastigen Worten phantasiert Bartsch von einem fiktiven Hauslöwen, der mit gezielten Bissen die kleinen und großen personellen Schwierigkeiten seines Lebens lösen soll – von den Zeugen Jehovas bis zu unliebsamen Jazzbands, die uns bekanntermaßen vielleicht bald schon in die nächste Wirtschaftskrise jammen könnten.


Moderator Sebastian 23 wird zum Abschluss von der Jazz-Combo verspeist

Zwischen den einzelnen Poeten spielt die Band Improvisiertes. „Könnt ihr ein bisschen etwas Nachdenkliches spielen? Aber nicht Fahrstuhlmusik. Kriegt ihr das hin?“, fragt Dichterin Sandra DaVina die Band. Es folgen sphärische Klänge und klackernde Percussion. Im weißen Minikleidchen dichtet DaVina über die Menstruation und den Tod. „Im Gegensatz zum Leben hält der Tod seine Versprechen“, streut sie eine kleine Weisheit unter ihre humorvollen Ausführungen. Für DaVina ist es der erste Slam mit einer Live-Jazz-Band. „Es ist total komisch: Man hört sich selber nicht, wenn die Band spielt“, sagt sie nach gehaltenem Vortrag. Irgendwann sei sie dann zum Brüllen übergegangen – was der Zuhörer nur als erhöhte Ereiferungsstufe wahrnehmen konnte.

DaVinas Gedanken über den Tod folgt Jan Coenens Sinnieren über das Alter – das aber bitte mit „melancholisch-lebensbejahender“ Musik, wie er von der Band fordert. Und so löst sich ein weiches, gummiartiges, düsteres Jaulen vibrierend von den Saiten der E-Gitarre. Die fast hawaiianisch anmutenden Sounds fallen nach wenigen Sekunden altersschwach zu Boden, während der Zahn der Zeit knirschend über die dicken Metallsaiten des Kontrabasses kratzt. Kurzweilig erzählt Coenen über die Symptome der in vergleichsweise jungen Jahren einsetzende Spießigkeit: „Ich bin nicht mehr Rock‘n Roll. Ich bin Tanztee, ich bin Strickjacke“, sagt er bewusst in letztere gekleidet.

Gewinner des Abends ist Jazz-Kritiker Jason Bartsch, gewählt durch den Applaus des Publikums, prämiert mit einer CD: Lyrik und Musik als Mix. Lasst die Löwen los!

Text und Fotos: Ines Maria Eckermann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Abigail

Lesen Sie dazu auch:

Lauter träumen, leiser spielen
Rotem Sivan Trio im Dortmunder Domicil – Musik 04/24

Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24

Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24

Kleinstes Orchester der Welt
„Solace“ in der Friedenskirche Ratingen – Improvisierte Musik in NRW 02/24

Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24

Sturmhaube und Ballonmütze
Gregory Porter in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 12/23

Frei von Konventionen
Alexander von Schlippenbach in Dortmund – Musik 11/23

Balladen für den Herbst
Caris Hermes Quintett in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 11/23

Die Szene zu Gast
19. Jazz Meeting Wuppertal – Musik 10/23

Wonnemonat für Fusionfans
Drei E-Gitarren erobern das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 10/23

Funk und Soul mit fetten Sounds
„Tribute To Curtis Mayfield“ in der Kölner Philharmonie – Improvisierte Musik in NRW 09/23

Die Trommel mal ganz vorne
„Schlagzeugmarathon“ in Essen – Improvisierte Musik in NRW 08/23

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!