Am Anfang: Chaos. László Toth (Adrien Brody) hat den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg überlebt, doch das Europa, das er als Architekt mit seinen am Bauhaus geschulten Ideen einst mitgestalten wollte, liegt in Trümmern. In den Nachkriegswirren sucht er wie andere Displaced Persons nach einer neuen Heimat. Toth ist jüdischer Ungar; von seiner Frau Erzsébet (Felicity Jones) wurde er während des NS-Terrors getrennt. Als er die Möglichkeit bekommt, in die USA zu emigrieren, ergreift er die Chance und hofft, dass Erzsébet ihm irgendwann folgen kann. Das wuchtige, über drei Stunden lange Filmepos von Brady Corbet folgt Toth auf dem Weg in ein neues Leben im ‚Land der unbegrenzten Möglichkeiten‘, wo der Architekt tatsächlich die Chance auf seine persönliche Variante des Amerikanischen Traums bekommt, die sich aber als tückisch erweisen wird. Eine filmische Tour de Force, die Corbet und seiner CoAutorin und Partnerin Mona Fastvold nach ihrem fulminanten Erstling „Childhood of A Leader“ (2015) sowie „Vox Lux“ (2018) eine weitere Einladung zum Filmfestival in Venedig bescherte, wo Corbet 2024 mit dem Regie-„Löwen“ geehrt wurde. Zur Schlüsselfigur für Toths US-Karriere, aber auch zu seiner Nemesis, wird ein reicher Gönner, der ein monumentales Bauwerk bei ihm in Auftrag gibt: Für den Selfmade-Millionär Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) soll Toth ein Kultur- und Gemeindezentrum auf einem Hügel nahe seines Landsitzes in Pennsylvania errichten – einen Mehrzweckbau mit Raum für Sport und Bildung inklusive eines Kirchenraums. Toth lässt sich mit Enthusiasmus auf die Herausforderung ein, die die Realisierung seiner kreativen Visionen zu sein verspricht. Doch das (Abhängigkeits-)Verhältnis zu Van Buren, diesem Herrenmenschen kapitalistischer Prägung, bleibt schwierig, das Gefühl, ‚displaced‘ zu sein, lässt sich nicht abschütteln. Selbst als Erzsébet wieder mit ihm vereint ist, schwären die Wunden der NS-Zeit weiter– und das Bauprojekt, das sich immer mehr in die Länge zieht, wird vom Zweckbau zur Symbolarchitektur für diese Wunden. Nachdem „Der Brutalist“ kürzlich schon bei den Golden Globes zu den großen Gewinnern gehörte, könnte er 2025 auch bei den Oscars absahnen.
Romy Miller (Nicole Kidman) hat es in der Geschäftswelt weit gebracht. Als CEO steht sie einem Logistikunternehmen vor, das durch den Einsatz ausgefeilter Robotertechnologie auf der Überholspur ist. Unter den neuen Praktikanten der Firma ist mit Samuel (Harris Dickinson) ein äußerst attraktiver und selbstbewusster junger Mann, der mit seinen kritischen Bemerkungen die geregelten Abläufe im Leben seiner Chefin schnell herausfordert. Außerdem erkennt er intuitiv, dass die erfolgreiche Geschäftsfrau unerfüllte sexuelle Fantasien hat, in denen sie gedemütigt und erniedrigt werden will. Die beiden lassen sich auf eine leidenschaftliche Affäre ein, in der Romy sowohl ihre berufliche Position als auch ihr Familienleben mit Jacob (Antonio Banderas) und ihren beiden Teenager-Töchtern in Gefahr bringt. Das Spiel mit sexuellen Abhängigkeiten innerhalb von verhängnisvollen Affären ist filmisch nicht ungewöhnlich, wurde in dieser Form aber noch nicht sehr oft erzählt. Bei „Babygirl“ ist vor allen Dingen die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit Superstar Nicole Kidman ungewöhnlich, da es für eine Schauspielerin ihres Kalibers und in ihrem fortgeschrittenen Alter von 57 Jahren ein gewisses Risiko birgt, sich auf einen solchen Part einzulassen. Insgesamt schlägt sie sich dabei ganz gut, sogar selbstironische Anspielungen auf den Einsatz von Botox meistert sie mit einem Augenzwinkern. Wenn man andere Filme mit ähnlicher Thematik kennt, kann einen die Entwicklung der Ereignisse zwar nicht sonderlich überraschen, aber Halina Reijn gelingt es, auch mit Hilfe eines ungewöhnlichen, die Zuspitzung der brenzligen Situation atmosphärisch passend unterstreichenden Soundtracks, das Interesse des Publikums durchweg aufrecht zu erhalten und zwei Stunden gut zu unterhalten.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: das Drama „Gotteskinder“ von Frauke Lodders, der Debütfilm „The Village Next to Paradise“ von Mo Harawe und „Poison – Eine Liebesgeschichte“ von Désirée Nosbusch. Dazu starten der Essayfilm „Henry Fonda for President“ von Alexander Horwath, die Spurensuche „The Last Expedition“ von Eliza Kubarska, die Lotto-Komödie „Sechs Richtige – Glück ist nichts für Anfänger“ von Maxime Govare und Romain Choay und der Familienspaß „Paddington in Peru“ von Dougal Wilson.
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