Schon der Stummfilm entdeckte 1911 Homers „Odyssee“ für das Kino. Im Lauf der Zeit entstanden immer wieder neue filmische Versionen des Heldenepos, von denen vor allem Mario Camerinis Verfilmung (1954 mit Kirk Douglas) Kultstatus erreichte. Nun gelingt es dem vom Investmentbanker zum Filmemacher „konvertierten“ Uberto Pasolini – einem Großneffen von Luchino Visconti (!) – der antiken Vorlage neue Reize abzugewinnen: Nicht Schlachten und Abenteuer stehen im Mittelpunkt der Handlung, sondern die Rückkehr Odysseus (Ralph Fiennes) in sein Königreich, wo Penelope (Juliette Binoche) nach 20 Jahren immer noch auf seine Rückkehr hofft. Während das Reich mehr und mehr zerfällt, muss sie sich zahlreicher Freier erwehren, die Odysseus Platz einnehmen und das Königreich an sich reißen möchten. Dann schlägt die Stunde für Odysseus, der sich durch einen gelungenen Pfeilschuss zu erkennen gibt und die Buhler niederstreckt. Eine griechische Tragödie scheint schließlich in ein Happyend zu münden. Doch das Familien- und Psychodrama lässt noch viele Fragen offen. Fragen, die an Aktualität nichts verloren haben. „Für manche wird der Krieg zur Heimat“, sinniert der durch seine Erlebnisse traumatisierte Odysseus. Penelope fragt sich, ob Odysseus auch gemordet und vergewaltigt hat, wie all die anderen Männer um sie herum. So wird „Rückkehr nach Ithaka“ letztlich zu einer erschütternden Parabel über die Sinnlosigkeit des Krieges. Getragen von einem präzisen Drehbuch, einer einfühlsamen Regie, dem intensiven Spiel aller Darsteller und den stimmungsvollen Bildern von Marius Panduru, die uns förmlich in eine Welt eintauchen lassen, als würden wir selbst eine Zeitreise machen.
Ray (Daniel Day-Lewis) desertierte einst während seines Einsatzes im Nordirlandkonflikt und lebt seither zurückgezogen in einer Waldhütte im Nirgendwo. 20 Jahre später steht sein Bruder Jem (Sean Bean) vor der Tür: Familiärer Ballast muss geklärt werden. Beginn einer Wiederannäherung, die das Schweigen aufbricht und dabei tiefe alte Wunden aufreißt. Ronan Day-Lewis überredet seinen Vater zum Comeback und legt mit „Anemone“ ein beachtliches Regiedebüt hin. Das Drama, zu dem Vater und Sohn gemeinsam das Drehbuch verfasst haben, mag im Hinblick auf die Schatten der Vergangenheit überfrachtet sein, reißt aber dennoch durchweg mit. Daniel Day-Lewis und Sean Bean sind eine Bank, und der Debüt-Regisseur versteht, seine Geschichte atmosphärisch packend auf die Leinwand zu bannen.
Es ist der Film zweier Debütantinnen: Für Alissa Jung ist „Paternal Leave – Drei Tage Meer“ nach einer Karriere als Kino- und TV-Schauspielerin und einigen Kurzfilminszenierungen die erste Langfilmregie, für Juli Grabenhenrich die erste Filmrolle überhaupt. Die 15-jährige Leo spürt in Italien ihren Vater auf, den sie nie kennengelernt hat. Jung begegnet dabei ihrer Protagonistin auf Augenhöhe, sodass sich für den Zuschauer eine Vertrautheit einstellt, die durch eine familiäre Komponente noch verstärkt wird – Luca Marinelli (als Vater) ist Jungs Ehemann. Ganz ohne melodramatische Zuspitzung und in präzise beobachtenden Bildern (Kamera: Carolina Steinbrecher) erzählt der Film von einer Annäherung, die mal von gegenseitigem Unverständnis mal von einem hoffnungsvollen Optimismus geprägt ist. Ein „Jugendfilm“ (ab 14) par excellence.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: die Tragikomödie „Mit Liebe und Chansons“ (Odeon) von Ken Scott, das komödiantische Selbstfindungsdrama „Sehnsucht in Sangerhausen“ von Julian Radlmaier, das Flüchtlingsdrama „To A Land Unknown“ von Mahdi Fleifel, die Bestatter-Doku „Der Tod ist ein Arschloch“ von Michael Schwarz und Alexander Griesser, der Paris-Thriller „Zone 3“ von Cédric Jimenez, die Ganerkomödie „Der Hochstapler - Roofman“ von Derek Cianfrance, das Horrordrama „Welcome Home Baby“ von Andreas Prochaska und, bereits ab Mittwoch, der Animationsspaß „Zoomania 2“ von Byron Howard, Jared Bush.
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