Bochum und Detroit haben gemein, dass sie beide ehemalige Standorte eines der wichtigsten Industriezweige des 20. Jahrhunderts waren. In Bochum prägten die Opelwerke die Stadt, in Detroit baute General Motors einst Packard, Cadillac, Chrysler und Dodge. Ganze Stadtviertel entstanden um diese Industrie herum, tausende Menschen fanden Beschäftigung, und weitere Wirtschaftszweige wie Zulieferer aber auch Kneipen und Läden profitierten vom Autoboom. Doch dann machten die Werke zu – und hinterließen nicht nur riesige Ruinen, Verfall und Arbeitslosigkeit, sondern auch tiefe Wunden bei den Menschen. Ulrike Franke und Michael Loeken sprechen in „We Are All Detroit - Vom Bleiben und Verschwinden“ mit ehemaligen Mitarbeitern der Autowerke und zeigen parallel sowohl die Trostlosigkeit dieser postindustriellen Städte als auch die Aufbruchsstimmung in eine neue Zeit.
Eine Film-im-Film-Fantasie hat der junge Regisseur Julian Radlmaier in seinem neuesten Geniestreich „Blutsauger“ ersonnen. Trotzkisten und Marxisten diskutieren im August 1928 über die Texte ihrer Ideologen. Marx hatte den Kapitalisten zum Vampir hochgejazzt, der die Arbeiter wortwörtlich aussaugt. Von der Metaphorik gleitet der Film mit leichter Hand und großem Augenzwinkern zu den Dreharbeiten von Sergej Eisensteins „Oktober“, um dort in der jungen Fabrikbesitzerin Octavia Flambow-Jansen eine wahre Vampirin zu finden (großartig blutleer: Lilith Stangenberg). Ein als junger Fabrikarbeiter verkleideter Aristokrat (Alexandre Koberidze) soll Trotzki spielen, Corinna Harfouch spielt Tante Erkenkrud. Klingt verrückt und bringt den Wahnsinn des letzten Jahrhunderts mit großer Lust auf den Punkt.
Die iranisch-stämmige Nico (Sara Fazilat) arbeitet als Altenpflegerin und scheint ihren Job richtig zu lieben. Mit viel Zärtlichkeit und Einfühlungsvermögen, aber auch mit einer frech-sympathischen Art geht sie ihrem Beruf nach. Als sie allerdings eines Abends auf ihrem Nachhauseweg in Berlin angepöbelt wird und verbal Kontra gibt, prügeln die drei unerbittlich auf Nico ein und schlagen sie krankenhausreif. Danach ist ihr Leben nicht mehr, wie es war. Die junge Frau leidet unter dem belastenden Trauma dieser gewalttätigen Begegnung und versucht, sich in einem Karatekurs bei Trainer Andy (Andreas Marquardt) fit zu machen, um in einer vergleichbaren Situation aktiv zurückschlagen zu können. „Nico“, das Solo-Langfilmdebüt von Eline Gehring („Helmut Berger, meine Mutter und ich“), hat eine beeindruckende Festivalkarriere hinter sich und wurde in den vergangenen Monaten auf rund drei Dutzend internationalen Festivals eingesetzt, wo es etliche Publikums- und Debütpreise, zuletzt den choices-Publikumspreis des Frauen*Filmfests, ergattern konnte.
Chalala im dörflichen Indien. Eigentlich ist Kino nichts für unsereins, sagt der Vater. Aber da der aktuelle Streifen religiösen Inhalts ist, macht er eine Ausnahme und nimmt seinen Sohn Samay mit ins Galaxy – das Kino in der Stadt. Der Besuch wird für Samay zur Offenbarung! Die Leinwand lässt den Stöpsel nicht mehr los, er schwänzt die Schule, stibitzt das nötige Kleingeld, und schon bald nistet er sich beim Filmvorführer Assad im Vorführraum ein. Pan Nalin („Valley of Flowers“) feiert das Kinoerlebnis ganz im Sinne des deutschen Titels „Das Licht, aus dem die Träume sind“. Wie sein kleiner Held, hat auch Nalin als kleiner Junge mit dem Vater Tee am Bahnhof verkauft und die Schule geschwänzt, um sich den Künsten zu widmen. Ganz wundervoll fabuliert er mit seinem märchenhafte Abenteuer von der Faszination an der Projektion, vom Spiel mit Licht und Schatten, spiegelt die Begeisterung für die große Leinwand aus Kindersicht. Und weckt damit Erinnerungen an die eigene Kindheit seiner erwachsenen Zuschauer, an die eigene Entdeckung des Kinos.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Marie Noëlles Doku-Fiktion „Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers“, Nicolas Cuches turbulente Gesellschaftskomödie „Meine schrecklich verwöhnte Familie“, Keith Thomas' Stephen-King-Neuverfilmung „Firestarter“ und Markus Dietrichs Wissensspaß „Willi und die Wunderkröte“.
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