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„Clockwork Orange“: Das Ensemble
Foto: Presse

„Exzesse, die auch dem Opfer Spaß machen“

28. Juli 2016

Maximilian Strestik über „Clockwork Orange“ am Bochumer Rottstr5 Theater – Premiere 08/16

Tollschocken war gestern, heute wird gepflegt gefoltert. Anthony Burgess’ „A Clockwork Orange“ in die Zeit und von Regisseur Maximilian Strestik in die Rottstraße 5 katapultiert.

trailer: Herr Strestik, eigentlich ist es wie bei „1984“ von George Orwell. Die Realität hat die satirische Dystopie von Anthony Burgess längst überholt. Das Uhrwerk Orange läuft doch prima in unserer Gesellschaft.
Maximilian Strestik: Ich würde sagen, was heute am besorgniserregendsten in der Jugendkultur ist nicht nur das Verschwinden des Rebellentums, sondern der Drang, fast schon der Zwang, immer und überall konform zu sein. Hervorgerufen wird das auch durch unsere heutige immer vorhandene Medienpräsenz, durch Twitter, durch Facebook etc. Das immer alles für alle sichtbar wird und man deshalb versucht, nicht mehr aufzufallen. Insofern ist auch der Roman aus den 1960ern etwas obsolet.

Heute brauchen wir eine „Konditionierung zum Gutsein“ nicht mehr. Die Menschen werden von digitalen Pokémons dumm und dämlich gehalten. Die „Ludovico-Methode“ braucht kein Mensch mehr?

Maximilian Strestik
Foto: Sabine Michalak

Zur Person:
Maximilian Strestik, geboren 1980 in Essen, absolvierte seine Schauspielausbildung in Bochum. Nach Gast-Engagements war er im Ensemble des Bochumer Schauspielhauses (2008-10) und der Städtischen Bühnen Münster (bis 2012). Zurzeit ist er hauptsächlich in der freien Theaterszene beschäftigt. Neben kleinen Film- und Fernsehauftritten spielt er vor allem am Rottstr5-Theater in seiner Wahlheimat Bochum.

Eben. Ohne dabei allzu didaktisch zu sein, will ich bei der Inszenierung zeigen, wie toll es ist und wie viel Spaß es macht, mit Freude ein Individuum zu sein. Sich seiner eigenen Wünsche und Bedürfnisse bewusst zu werden und die auch auszuleben, selbst wenn das auf Kosten anderer geht. Dabei gibt es natürlich einen großen Graubereich und die Frage, was ist letzten Endes noch erlaubt und was nicht in einem Gesellschaftsvertrag. Allerdings, durch zu viel Konformität erstirbt die Kreativität und die Freude geht endgültig verloren. Also doch lieber Chaot als Zombie.

Wie beim Militärputsch in der Türkei?
Das ist mir zu tagesaktuell. Darauf werde ich keinen Bezug nehmen.

Was kann Theater da bewirken, außer dass alle ihre Smartphones ausschalten müssen, das aber nie tun?
Einfach ausgedrückt, Spaß haben. Noch besser: Spaß zu haben, gepaart mit Empathie. Der humanistisch-philosophische Ansatz, der sich wohl dahinter verbirgt, dürfte die Aussage: „Sei du selbst, aber erkenne den anderen“, sein. Ein solch utopisches Menschenbild würde dazu führen, dass es nirgendwo Kriege gäbe – aber es bleibt natürlich nur eine große Utopie. Klar. Was mir an dem Abend wichtig ist zu zeigen, ist der befreite Mensch, der von außen zertrampelt wird und dann eben zu diesem Zombie transformiert.

Was bleibt von der Burgess-Geschichte in der Inszenierung denn noch übrig?
Die Geschichte in ihren Grundzügen, also die Handlung ist relativ stringent übernommen. Es soll natürlich erkennbar „Clockwork Orange“ von Anthony Burgess sein. Die Figuren sind alle da. Die Geschichte wird authentisch erzählt. Natürlich müssen wir hier und da Sachen auslassen, was natürlich auch der Kürze der Zeit im Theater geschuldet ist. Mir war natürlich wichtig, weil wir heute nicht mehr diesen gewalttätigen Bezug zur damaligen Jugendkultur haben und den Fragen, was trieb sie eigentlich zu dieser Gewalt – war es die Rockmusik oder noch früher die Belletristik oder gar Goethes Werther, wenn man ganz weit zurückgreift? – dass diese Fragen nicht Teil der Inszenierung wurden, da verzettelt man sich sicher und es wird viel zu schnell klar, wie überholt der Roman eigentlich ist. Kein Tollschocken, keine Milchbar.

Also gar keine Gewalt…?
Das schon, aber wir haben da Exzesse, die auch dem Opfer Spaß machen. Es gibt da den schmalen Grat, Alex zu sehr zum Monster werden zu lassen, wo eine Identifikation eigentlich nicht mehr möglich ist. Eben dann, wenn das Opfer nicht einverstanden wäre. Da entfernen wir uns dann doch vom Autoren Burgess, bleiben aber dadurch wieder näher an der Kernaussage. Anthony Burgess und Stanley Kubrick haben immer bereut, wie sehr und wie leicht das Werk missverstanden werden konnte. Aber wir verzetteln uns auch nicht mit Uminterpretationen.

Aber die Gesetzesänderung zum Tatbestand der Vergewaltigung ist vorhanden?
Das ist auch eine der Schwierigkeiten, wo ich mir den Kopf zerbrochen habe. Ich wollte niemand zumuten hier Vergewaltigungen zu spielen, ich hab mich da auch nicht getraut, wollte die Vorgänge zwar zeigen, aber eben nicht ungeschützt im Bühnenraum. Dann habe ich mich gefragt, ob wir das nicht einfach weglassen und uns auf den Spaß konzentrieren. Auch bei uns bleibt ein Nein ein Nein, aber wir zeigen ja eher ein „Opfer“, das tatsächlich einverstanden ist. Bei den ganz schlimmen Exzessen ist es deshalb eher das Opfer selbst, das sie verübt – und eben nicht Alex, der ja auch im Roman die alte Frau mehr oder weniger aus Versehen erschlägt. Wir nehmen uns die Freiheit zu sagen, Alex ist eben unschuldig. Der Schlusspunkt ist der freie Mensch.

Und der unkonditionierte Alex ist dann wieder eine positive Vision, viel besser als ein gehirngewaschener Gotteskrieger?
Haargenau das war meine Idee. Das war der Ansatz, mein Gott, der ist doch super, dieser Alex. Der weiß, was ihm gefällt, der weiß, was Spaß ist. Er ist zwar nicht empathiefähig, wie es wünschenswert wäre, aber das Böse lasten wir eh auf die Schultern des Psychopathen Dim. Der wird zum Mörder, liefert aber Alex den Polizisten aus. Aber wir werden keine Terroristen auf der Bühne sehen.

„Clockwork Orange“ | Fr 12.8.(P), Sa 13.8., So 21.8.19.30 Uhr | Rottstr 5 Theater Bochum | 0163 761 50 71

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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