trailer: Herr Schmidt-Salomon, was haben Sie gegen Knabenbeschneidungen aus religiösen Gründen?
Michael Schmidt-Salomon: Unabhängig von der religiösen Bedeutung ist die Vorhautbeschneidung ein risikoreicher, schmerzvoller, mitunter traumatisierender Eingriff. Er ist mit der irreversiblen Amputation eines hochempfindlichen Körperteils verbunden. Ein solcher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unversehrtheit des Kindes lässt sich über das elterliche Erziehungsrecht nicht rechtfertigen. Dabei ist es völlig egal, ob der Beschneidungswunsch der Eltern auf religiöse, ästhetische oder vermeintlich hygienische Motive zurückgeht.
Hat Sie ein Kölner Richter auf dieses Thema gebracht?
Ich persönlich bin auch Betroffener. Ich wurde mit 17 Jahren aus medizinischen Gründen beschnitten. Insofern habe ich mich schon vorher mit dem Thema beschäftigt. Wissenschaftliche Studien habe ich dazu aber erst in den letzten Wochen gelesen.
Gab es für Sie neue Erkenntnisse?
Früher habe ich geglaubt, dass Säuglinge weniger Schmerz empfinden als Erwachsene. Tatsächlich verstummen manche Säuglinge während einer Beschneidung und scheinen einzuschlafen. Heute wissen wir allerdings, dass sich diese Babys in einem traumatischen Schockzustand befinden. Neugeborene haben weitaus stärkere Schmerzempfindungen als ältere Kinder, weil bei ihnen das schmerzunterdrückende System noch nicht ausgebildet ist.
Oft werden hygienische Argumente vorgebracht.
Die Weltgesundheitsorganisation hat bislang zur Beschneidung geraten, weil beim ungeschützten Geschlechtsverkehr die Gefahr, mit HIV infiziert zu werden, geringer ist. Trotzdem sind beschnittene Männer häufiger HIV-positiv. Man hatte nicht berücksichtigt, dass beschnittene Männer durch den erlittenen Sensibilitätsverlust seltener Kondome benutzen.
Die Beschneidung an sich ist aber ein Routineeingriff. Warum sprechen Sie von hohem Risiko?
Einige tausend Jungen sterben jährlich an der Beschneidung. In den USA sind es etwa 120 pro Jahr. Gefährlich ist vor allem die Infektion mit multiresistenten Bakterien oder, im Falle einer orthodoxen Beschneidung, mit Herpes, da die Rabbiner in traditionellen Zeremonien das Blut des Jungen mit dem Mund aufsaugen. Sterile Bedingungen gibt es unter solchen Umständen nicht, geschweige denn eine wirksame Betäubung.
Hilft ein gesetzliches Verbot?
Wichtig ist meines Erachtens vor allem Aufklärung: Wüssten die Eltern über die tatsächlichen Folgen der Vorhautbeschneidung Bescheid, dann müssten wir über ein Verbot wohl gar nicht mehr diskutieren, da die meisten Eltern von sich aus den Gedanken verwerfen würden, ihre Kinder beschneiden zu lassen.
Das dürfte in einer Informationsgesellschaft kein großes Problem sein.
Könnte man meinen. Aber es gibt viele Widerstände – nicht nur religiöser Art. Nehmen wir den amerikanischen Ärzteverband AAP: Die AAP ist die einzige westliche Fachorganisation, die noch Vorteile in der Vorhautbeschneidung erkennen kann. Offenbar fällt es den amerikanischen Ärzten schwer, vormals propagierte Eingriffe nun negativ zu bewerten. Immerhin wurde die routinemäßige Beschneidung in den USA schon vor 150 Jahren eingeführt. In erster Linie übrigens aus masturbationsprophylaktischen Gründen. Vor allem der Arzt und rigorose Sexualasket John Harvey Kellogg, der Erfinder der Cornflakes, hat die Vorhautbeschneidung aus diesem Grund empfohlen. Später kamen dann vermeintlich hygienische und medizinische Gründe hinzu. Man darf aber auch die ökonomischen Interessen nicht übersehen: Die Beschneidung ist in den USA ein 2-Milliarden-Dollar-Geschäft, an dem nicht nur Ärzte und Kliniken verdienen, sondern auch Pharma- und Kosmetikfirmen, die „frisch geerntete Vorhäute“ zur Herstellung von Hauttransplantaten und Antifaltencremes verwenden. Solche Zusammenhänge werden in der Regel nicht offengelegt. Insofern kann man sich durchaus darüber streiten, ob wir wirklich in einer Informationsgesellschaft leben – oder nicht doch eher in einer Desinformationsgesellschaft.
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