Ein wenig berühmt ist Ali Utlu schon. Aber es ist eine traurige Berühmtheit. Ende August findet er ein Schweineohr in seinem Briefkasten, seitdem ist das Medieninteresse groß. „Da wird jetzt ermittelt, aber mehr weiß ich auch nicht”, sagt Utlu mit seinem hessischen Akzent. Es ist nicht die erste Drohung. Seitdem das Mitglied der Piratenpartei in den letzten Wochen auf Facebook, im Berliner Schwulenmagazin „Siegessäule“ und bei ZDFinfo öffentlich gegen religiöse Beschneidung argumentiert, ist es mit dem gemütlichen Leben in Köln vorbei. Utlu nennt sich scherzhaft „Netzwerkschubse“, ist tatsächlich beruflich als Systemadministrator tätig. Er erhält Morddrohungen und hat Angst, alleine einkaufen zu gehen. Trotzdem ist er der Ansprechpartner für all diejenigen geworden, die unter ihrer eigenen Beschneidung leiden, aber nicht darüber reden konnten. Ali Utlu konnte es und er tut es immer wieder. „Ich kann die Geschichte mittlerweile ganz emotionslos erzählen“, meint er, bevor er ansetzt, von seiner eigenen Beschneidung zu reden.
„Meine Beschneidung war wie ein Horrorfilm“
Als 7Jähriger reiste er mit seiner Familie in die Türkei zu einer „Familienfeier“. Als er dort ankam, wurde er zusammen mit seinem Bruder in einen Raum geführt, auf einen Stuhl gesetzt und von vier Männern festgehalten. „Ich habe mich gewehrt“, erzählt er. „Ein Onkel hat mir dann die Hose ausgezogen und geschnitten. Ohne Betäubung, ohne Jod – gar nichts.“ Nach der Beschneidung wurden die Brüder in der Mitte der Feier in zwei Betten aufgebahrt, drumherum tanzten und lachten die Verwandten. „Das war wie ein Horrorfilm“, beschreibt Utlu die Szene heute. Aber sie sei exemplarisch. Als „Anpassungsdruck“ bezeichnet er die Motivation seiner Eltern. Man hätte ja in die Türkei zurückkehren können – und dann? Aber die Utlus sind im Odenwald geblieben und für ihre Kinder begann damit eine Kindheit voller Hänseleien. Schließlich sah man halt an entscheidenden Stellen ein wenig anders aus. Schon lange setzt sich Utlu deshalb im Freundes- und Bekanntenkreis dafür ein, die Söhne nicht beschneiden zu lassen. Teils mit Erfolg, aber bei türkischen Verbänden stieß er auf Ablehnung. Erst mit dem Eintritt in die Piratenpartei hat er eine politische Heimat für dieses Thema gefunden. „Ein Parteibeschluss steht noch aus“, gibt er zu, „aber ich denke, dass Jungen mit 14 selbst entscheiden können, ob sie beschnitten werden wollen“. Vorher sollte die Beschneidung strafbar sein. Und selbst wenn durch das Urteil des Landgerichts das Thema jetzt in aller Munde ist, ist er mit der Debatte nicht so ganz zufrieden. Nicht nur, weil Befürworter der Beschneidung bedroht werden, sondern auch, weil Antisemiten und Islamophobe die Debatte ausnützen würden. Und weil die Medien erst spät Leute wie ihn entdeckt haben: Leute, die freiwillig und ohne falsche Scham erzählen. Aber wie hätte er sich denn mit 14 entschieden? „Dagegen“, sagt er. „Ich hätte ja gewusst, was ich verliere.“ Und dann muss er doch ein wenig grinsen.
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