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Martina van Boxen
​Foto: Maxi Braun

„Die unterschiedlichen Schulformen spielen am Ende keine Rolle mehr“

27. April 2017

Martina van Boxen über das Bochumer Theaterprojekt „Herr der Fliegen“ mit Schülern – Premiere 05/17

Gewalt als Lösung. Schulen in Bewegung. „Herr der Fliegen“ von William Golding kommt als genreübergreifendes Theaterprojekt mit sechs Bochumer Schulen aller Schulformen. Kann das gutgehen? Wir sprachen darüber mit der künstlerischen Leiterin Martina van Boxen.

trailer: Frau van Boxen, warum dieses Gewaltstück als Schulprojekt?
Martina van Boxen:
Gewaltstück? Also für mich ist das in erster Linie kein Gewaltstück. Was Golding da beschreibt, geht eher um Gesellschaftsstrukturen und die Frage, wie entwickelt sich eine Gesellschaft ohne eine Führung. Wohin also tendieren dann die Menschen? Das finde ich eine sehr schöne, gelungene – Parabel. Parabel ist eigentlich das falsche Wort. Das ist eher ein Labortisch, man schüttet da was drauf, schaut wie sich das entwickelt. Dann gibt es diejenigen, die den demokratischen Weg gehen wollen und diejenigen, die die Anarchie leben wollen, es gibt die kleinen Diktatoren. Es gibt eigentlich alles. Das finde ich eben sehr gelungen auch hinsichtlich der Frage, wie funktioniert Gesellschaft. Kann Gesellschaft funktionieren, wenn man etwas ganz neu gründen muss?

Wie reagieren die Jugendlichen darauf?
Das ist sehr interessant, denn die Gruppe ist sehr divers, wie man heute sagt. Das sind ja Förderschüler, Hauptschüler, Gymnasiasten, alles dabei. Und das ist spannend zu beobachten, wie die Schüler auch aus ihrer Herkunft heraus damit umgehen. Natürlich gibt es die, die ein Demokratieverständnis haben. Aber es gibt auch andere, die sich noch nie darüber Gedanken gemacht haben. Wir reden sehr viel und haben auch eine spezielle Form von Übungen zu diesem Thema gemacht. Also zu den Fragen, kann man Leute ausschließen, ausstoßen aus einer Gruppe, und wenn, was dann? Es kommen natürlich Ja-Antworten, wenn der Bestimmte eine Gefahr für meine Gruppe wird, dann muss er weg. Dann gibt es viel zu diskutieren.

Wie verteilt man die vielen unterschiedlichen Temperamente auf Bühne und Sparten und Gewerke?

Martina van Boxen
Foto: Maxi Braun
Zur Person
Martina van Boxen leitet seit 2005 das Junge Schauspielhaus Bochum. Sie studierte Visuelle Kommunikation in Düsseldorf und absolvierte ihre Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Anschließend arbeitete sie als Schauspielerin und Regisseurin, bevor sie 12 Jahre lang die künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Theaterwerkstatt Hannover war.


Das machen die Schüler im Prinzip selber. Normalerweise haben sie einen Erst- und einen Zweitwunsch, also Schauspiel machen oder Bühnenbild. Dann haben wir einen Tag, wo wir sie in Gruppen testen. Sie schauen, ob das was ist, ob das funktionieren kann. Das haut natürlich nicht immer hin. In diesem Jahr haben alle Schüler an einem Tag alle Gruppen durchlaufen und gesehen: Aha, Video macht das oder Bühnenbild macht das. Dadurch haben die alles kennengelernt und sich dann viel breiter verteilt auf alle Gruppen. Diesmal haben wir auch eine, wir nennen es jetzt Stage-Gruppe, uns ist nichts Besseres eingefallen. Das sind knapp 40 Leute, die alle immer auf der Bühne sein werden, die alle Musik machen werden, die alle tanzen werden, die alle spielen müssen.

80 Schüler, sieben Gruppen – gab es gewalttätige Konflikte wie im Stück?
Nein, das passiert nie. Das ist es, was ich an dem Projekt auch so faszinierend finde. Am Anfang geht das immer mal wieder in diese Richtung, da bilden sich Grüppchen, denn man kennt sich und ist unter sich. Aber das löst sich so schnell auf. Weil sie eben merken, dass es darauf nicht ankommt und das das einzige, was zählt, ist, nun gemeinsam ein Stück zu erarbeiten. Und das gelingt nur, wenn sie wirklich zusammenarbeiten. Deshalb spielen auch die Schulformen am Ende gar keine Rolle mehr. Es ist sogar so, dass sie sich gegenseitig dabei helfen. Und nicht so, dass die Gymnasiasten den Förderschülern helfen – das findet auch umgedreht statt. Und das ist das Großartige an diesem Projekt.

Kristallisieren Sie sich denn da nicht auch Anführer oder Wortführer heraus?
Aber hallo. Ja.

Aber keinen Versuch die Herrschaft an sich zu reißen?
Unter den Jugendlichen? Nein, das findet nicht statt. Da haben wir einfach auch ein Auge drauf.

Also sind Sie dann der Herr der Fliegen?
Ja . Was ist der Herr der Fliegen? Das ist ja eigentlich dieser Gott – nein, der bin ich nicht.

Dann der Böse?
Ich versuche, ein Guter zu sein.

Und wie schafft man es, so viele Kinder und Jugendliche so zu disziplinieren, dass die bei einer Aufführung in den Kammerspielen dann auch funktionieren?
Das ist eine gute Frage. Die sind das natürlich überhaupt nicht gewohnt. Vor allem nicht, sich so lange zu konzentrieren. Und bei den Proben ist das extrem, denn wir arbeiten zum Teil sechs Stunden am Stück. Aber dadurch lernen die das. Und dann wird es auch immer weniger, dann kommen die Durchläufe, das Stück wird am Ende etwas über einer Stunde dauern. Dann sind die eigentlich konditioniert, so dass eine Stunde gut funktioniert. Aber das ist eine harte Arbeit.

Ist das so, weil so etwas heute im schulischen System gar nicht mehr verlangt wird und alles mit dem Handy in der Hand?
Das kann ich nicht wirklich beurteilen. Es ist ja auch anders als Schule. Die haben bei den Proben immer wahnsinnig viel Spaß. Schwer ist, von dem Spaß wieder runter zu schalten, auf Konzentration und auf Ernsthaftigkeit. Das ist eher das Problem.

Handys gibt es ja auf der Insel auch nicht.
Nein und die gibt es auch bei den Proben nicht.

Und das Stück hat, trotz Rettung, eigentlich kein gutes Ende.
Stimmt. Es hat kein gutes Ende.

„Herr der Fliegen“ | Künstl. Leitung: Martina van Boxen | Do 8.6.(P) 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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