„Ab Montag bin ich bei Hertha das Gesetz, und alle hören auf mein Kommando. Ich habe immer das letzte Wort, bin ab jetzt Tag und Nacht für Hertha da – und zwar immer pünktlich. Ich bin ein Vorreiter und erwarte Ordnung und Disziplin. Ich bin ein Preuße. Oder auch ein demokratischer Diktator“ – so Otto Rehhagel in der „Bild am Sonntag“.
Was für ein Pech für Lothar Matthäus. Die gefühlte Dramatik der Lage in Berlin und der immerwährende Bedarf an Aufregung und Unterhaltung im Zirkus Bundesliga ließen das bislang Undenkbare, jede Vorstellungskraft Sprengende dieses Mal tatsächlich in den Bereich des Möglichen rücken: Loddar wird Trainer eines Erstligisten. Stattdessen reaktivierte Hertha BSC nun Rubens Rehhagel, den Klassische-Zitate-Angeber und Journalisten-Belehrer par excellence. Ihn hatte in der Nachfolge-Debatte niemand auf dem Schirm, und dementsprechend ungläubig waren die ersten Kommentare, als am Karnevalssonntag die Meldung über seine Verpflichtung kam. Es konnte sich da doch eigentlich nur um einen Karnevalsscherz handeln, nicht wahr?
Der Mann macht keine Scherze. Hat er noch nie gemacht, weder als Verteidiger Eisenfuß in seiner aktiven Zeit als Spieler bei Rot-Weiß Essen noch als Trainer, der seit dem letzten Spieltag der Saison 1977/78 den Rekord für die höchste Bundesliganiederlage aller Zeiten hält, als er mit Borussia Dortmund 0:12 gegen Mönchengladbach verlor und flugs zu „Otto Torhagel“ erklärt wurde.
Bei- und Spitznamen sammelte er auch in der Folgezeit reichlich. Aus dem „Otto Notnagel“ der späten 70er Jahre wurde zwischen 1981 und 1995 in Bremen „König Otto“ und schließlich in Griechenland „Rehakles“. Gemessen an den Ansprüchen, die der verhinderte Philosophenkönig an sich und andere stellt, hätte „Aristottoles“ auch nicht schlecht gepasst.
Wie er 2004 mit einer Truppe, die noch nie etwas gewonnen hatte, den EM-Titel holen konnte, ist vielen noch immer ein Rätsel. Doch wahrscheinlich hat der große Pädagoge und Spielerstarkredner Rehhagel, den taktische Feinheiten und neue Trainingsmethoden nie sonderlich interessiert haben, die griechischen Fußballer seinerzeit mit jenem Satz sokratischer Herkunft überzeugt, der am Beginn aller Erkenntnis steht: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
Nun schließt sich also der Kreis, wenn Aristottoles I. ab sofort das Zepter im Berliner Olympiastadion schwingt. Und wie es der Terminplan will, empfängt er dort unter anderem seine drei letzten Bundesliga-Trainerstationen Werder Bremen, Bayern München und 1. FC Kaiserslautern zum Heimspiel. Wahrscheinlich wird er nun EM-Held Traianos Dellas aus Athen holen und als Libero reaktivieren. Da aber für die zum Klassenerhalt nötigen 1:0-Siege auch jemand die Tore schießen bzw. köpfen muss, muss unbedingt auch Angelos Charisteas, derzeit Panetolikos Agrinio (die heißen wirklich so), verpflichtet werden. (Und am besten auch gleich noch Theofanis Gekas von Samsunspor.)
Dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Wenn die Herthaner dann am vorletzten Spieltag bei Schalke gastieren, sind sie längst gerettet und verlieren locker mit 0: 13. Und Otto kann gleich weiter nach Essen fahren.
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