„Ich mach's mir nett in meinem Leben“, sagt Christine Westermann selbstbewusst – auch nach ‚Zimmer frei‘. Sie feiert gerne runde Geburtstage – doch im Gegensatz zu den Jahren vor ihrem 60sten habe das „Zulaufen“ auf den 65sten „kein gutes Gefühl“ hervorgerufen: „Mir ist auf einmal klar geworden, dass wesentlich mehr Leben hinter mir als vor mir liegt.“ Zwei Jahre schrieb sie an „Da geht noch was – mit 65 in die Kurve“. „Bewegte Jahre“ waren dies für die Autorin, auch emotional, eine „innere Unruhe“ und „unbestimmte Traurigkeit“ angesichts des unabwendbaren Älterwerdens als stetiger Wegbegleiter.
Ihren wohl größten Lebenstraum jedenfalls hat Christine Westermann bereits früh verwirklichen können: „Ich bin Journalistin geworden, weil ich das wollte.“ Bereits in den 70er Jahren moderierte sie mit Anfang zwanzig nach ihrem Volontariat die „Drehscheibe“ im ZDF. Damals habe sie gedacht, „mit vierzig wäre schon Schluss oder so was.“ Zumal die ältere Generation in jener Zeit nicht wie heute „Jeans und Lippenstift“ trug: „Als ich jung war, sahen Alte anders aus als heute.“ Dennoch habe sie sich damals auf gutes Zuraten von Kollegen hin entschlossen, eine Altersversicherung abzuschließen, über deren Auszahlung mit 65 Jahren sie sich unlängst freuen durfte. Ganz oft sei sie gefragt worden, ob der frühe Tod ihrer Mutter, die mit 64 starb, etwas mit der Schwierigkeit zu tun gehabt habe, auf die 65 zuzugehen.
Immerhin habe man mit 65 eine Ahnung vom Leben – „aber es überrascht mich immer noch ganz viel“, bekennt die Autorin, deren 1999 erschienener Debut-Roman „Baby, wann heiratest Du mich?“ bereits ein Bestseller wurde. Geheiratet hat sie selbst erst mit über 50 – was sie eigentlich niemals vorhatte, nachdem sie in ihrem Umfeld zu viele gescheiterte Ehen erlebt hatte. Inzwischen sieht sie auch viele andere Dinge aus einer veränderten Perspektive: Schließlich ist sie nach drei Jahren Bewusstseins- und Achtsamkeitstraining sogar selbst zertifizierte Bewusstseinstrainerin. Und das, obwohl „Achtsamkeit“ für Christine Westermann zuvor „ein unglaublich abgedroschener Begriff“ gewesen sei. Eine zwischenzeitliche Auszeit im Kloster inklusive achttägigem Dauerschweigen jedoch verlief – trotz Kamerateam-Begleitung im Zen-buddhistischen Zentrum – erfolgreich.
Die Lektüre aus ihrem bislang jüngsten Buch – ein weiteres, über das sie noch nichts verraten möchte, werde im November erscheinen – erstreckt sich an diesem Abend vor allem auf eher heitere Anekdoten. „Da geht noch was“ hat jedoch auch nachdenkliche Passagen zu bieten, die an diesem Abend aber nicht vorgetragen werden, da sie der „persönlichen Zwiesprache“ bedürften. Ihre zentrale Botschaft in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kundenhalle der Sparkasse Schwerte jedenfalls ist ein nachdrückliches ‚Carpe diem‘, das sie den Gästen mit auf den Weg geben will: „Nicht auf irgendetwas warten, sondern leben – jetzt.“ „Machen Sie sich einen Kopf über das, was ist – nicht über das, was kommt“, empfiehlt Christine Westermann. Auch wenn sie sich – sicherlich im Gegensatz zu vielen anderen (Un-)RuheständlerInnen mit 65 – vor drei Jahren gefreut hat, dass ihre Altersversicherung ausbezahlt wurde.
Christine Westermann | Da geht noch was – mit 65 in die Kurve | Kiepenheuer & Witsch
192 S. | 17,99 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Von Minenfeldern in die Ruhrwiesen
Anja Liedtke wendet sich dem Nature Writing zu – Literaturporträt 04/24
Wortspielspaß und Sprachsensibilität
Rebecca Guggers und Simon Röthlisbergers „Der Wortschatz“ – Vorlesung 03/24
Lebensfreunde wiederfinden
„Ich mach dich froh!“ von Corrinne Averiss und Isabelle Follath – Vorlesung 03/24
Das alles ist uns ganz nah
„Spur und Abweg“ von Kurt Tallert – Textwelten 03/24
Spurensuche
Comics zwischen Wirklichkeit, Fantasie und Spektakel – ComicKultur 03/24
Wut ist gut
„Warum ich Feministin bin“ von Chimamanda Ngozi Adichie – Vorlesung 03/24
Unschuldig bis zum Beweis der Schuld
„Der war’s“ von Juli Zeh und Elisa Hoven – Vorlesung 02/24
Verse der Intersektionalität
Audre Lorde-Workshop im Fritz Bauer Forum – Literatur 02/24
Das Drama der Frau um die 50
„So wie du mich willst“ von Camille Laurens – Textwelten 02/24
Gertrude, Celeste und all die anderen
Progressive Frauen in Comics – ComicKultur 02/24
Sprachen der Liebe
„So sagt man: Ich liebe dich“ von Marilyn Singer und Alette Straathof – Vorlesung 02/24
Umgang mit Krebserkrankungen
„Wie ist das mit dem Krebs?“ von Sarah Herlofsen und Dagmar Geisler – Vorlesung 01/24
Schlummern unterm Schnee
Alex Morss’ und Sean Taylors „Winterschlaf – Vom Überwintern der Tiere“ – Vorlesung 01/24
Tanz in der Kunst
Sachbuch von Katharina de Andrade Ruiz – Literatur 01/24
Held:innen ohne Superkraft
Comics gegen Diktatur und Ungerechtigkeit – ComicKultur 01/24
Am Küchentisch
„Kleiner Vogel Glück“ von Martin Mandler – Textwelten 01/24
Federknäuel im Tannenbaum
„Warum Weihnachtswunder manchmal ganz klein sind“ von Erhard Dietl – Vorlesung 12/23
Glühender Zorn
„Die leeren Schränke“ von Annie Ernaux – Textwelten 12/23
Reichtum und Vielfalt
„Stärker als Wut“ von Stefanie Lohaus – Klartext 12/23
Die Umweltschutzuhr tickt
„Der Wald ohne Bäume“ von Jeanne Lohff – Vorlesung 12/23
Ernste Töne
Neue Comics von Sfar, Yelin und Paillard – ComicKultur 12/23
Unter der Oberfläche
„Verborgen“ von Cori Doerrfeld
Philosophie bei Krisenstimmung
Jürgen Wiebicke in Herne – Lesung 11/23
Wenn die Blätter fallen
„Im Herbstwald“ von Daniela Kulot – Vorlesung 11/23
Ausstellung in Buchformat
Wenn jedes einzelne Panel im Comic einem Kunstwerk gleicht – ComicKultur 11/23