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Foto: Lisa Mertens

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10. August 2012

"Work hard - play hard" im Endstation Bochum - Foyer 08/12

Bochum, 28. Juni - Das Thema Arbeitswelt wird im Kulturzentrum Bahnhof Langender vielseitig behandelt, mittels politischer Vorträge und Diskussionen, Filmvorführungen oder auch Konzerte. Manchmal ist das Statement ein sehr eindeutiges. Die Bochumer Satire-Punk-Band propagierte wenige Wochen zuvor „Arbeit ist scheiße!“ Auf ihrem letzten Album „Physik“ coverten die Jungs auf ihre eigene Weise „Das Lied der Pennbrüder“ von Harry Steier aus den 20ern. „Wer die Arbeit hat erfunden, hatte sicher nichts zu tun, täglich 24 Stunden muss der Mensch doch schließlich ruh‘n.“ Manchmal ist das Statement weniger plakativ und lädt zu hitzigem Meinungsaustausch ein. So auch die Filmvorführung der Dokumentation „Work hard - play hard“ von Carmen Losmann. Die Regisseurin filmte die neue Arbeitswelt. Moderne Gebäude mit aufwändiger Architektur, Farbgestaltung und Struktur. Ein Ort, in dem sich die Mitarbeiter wohlfühlen sollen, ihre Kreativität angeregt wird. Sie begleitete ein Outdoor-Selbsterfahrungstraining, ein Assessment Center für angehende Führungskräfte, eine Mitarbeiterbesprechung bei der Deutschen Post. Doch was sich so offen, innovativ und human präsentiert, zeigt bald seine beinahe schon grausame Seite. Die Mitarbeiter sollen „taskorientiert“ arbeiten, ihre Individualität zu jeder Zeit und zu jedem Ort in die Arbeit einfließen lassen, sich stets selbst optimieren, sie werden einer „Potenzialanalyse“ unterzogen, es soll eine „burning platform“ und ein „positiver Leidensdruck“ geschaffen werden. Carmen Losmann hat, wie sie im anschließenden Gespräch sagte, für die Doku eine bewusst ästhetisierende Form gewählt, um eine „schöne, neue (Arbeits-) Welt“ zu generieren, die sich ohne eine Stimme aus dem Off selbst demontiert. Bewusst hat sie sich auch für das Format Cinemascope entschieden, welches ursprünglich für Western gedacht war, um die die freien, weiten Weiten der Prärie ins Bild zu setzen. Das Format solle hier einerseits die Freiheit des Individuums, welche die Führungsetagen nicht müde werden zu betonen, in der Arbeitswelt untermalen, andererseits durch die starke Begrenzung von oben und unten die Begrenztheit dieser freien Welt verdeutlichen. Für ihren Film habe sie ein Jahr lang recherchiert, für Dreharbeiten diverse Unternehmen angefragt, viele Absagen, aber auch erstaunlich viele Zusagen erhalten. Denn, warum solle die Arbeitswelt nicht dokumentiert werden? Sie prägt doch unser aller Leben.

Filmgespräch im Anschluss der Dokumentation mit Regisseurin, Club Dialektik und Gewerkschaft

Bei den Zuschauern hinterließ der Film mächtig Eindruck. Ob sich die Unternehmen für ihre menschenverachtenden Sprüche nicht schämen würden, war die Frage. Dieses „Neusprech“ sei geradezu abstoßend. Eine Zuschauerin fühlte sich an moderne Sekten erinnert, in denen jeder eine Offenheit über das Maß an den Tag legen müsse. Eva Bockenheimer vom Club Dialektik, mit dem Carmen Losmann während der Produktion in engem Austausch stand, bemerkte, dass mit der Abschaffung der Stempeluhr die Menschen kurioserweise mehr arbeiten würden. Die Arbeitswelt habe sich verändert. Heute sei es verpflichtend, sich selbst als Individuum mit einzubringen, die Produktivität des Unternehmens zu steigern und sich als Arbeitnehmer wie eine Führungskraft dafür verantwortlich zu fühlen und dementsprechend zu handeln. Die Grenze zwischen Arbeit und Individualität sei aufgehoben. Die Individualität werde ausgebeutet, doch Mitarbeiter seien stolz darauf, dass ihre Individualität der Produktivität des Unternehmens nutze. In welche Richtung hat sich unsere Arbeitswelt also qualitativ verändert? Mit neuer Freiheit scheinen neue Probleme gekommen zu sein. Eine Zuschauerin bemerkte treffend, dass es die gleiche Scheiße (O-Ton) wie immer sei, dass nur die Qualität der Ausbeutung eine andere sei. Um noch einmal die Kassierer zu zitieren: Die Meinung „Arbeit ist scheiße!“ trifft vermutlich nur auf einzelne zu, die Meinung „Die Arbeitswelt ist scheiße!“ aber wohl auf viele.

TEXT/ FOTOS: LISA MERTENS

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