2014 war der Film „Das Ende der Kohle“ bereits im Programm des blicke-Festivals zu sehen. Experimentell, verwoben und unvorhersehbar waren hier nicht nur die Bilder des knapp 30-minütigen Streifens, auch die begleitende Musik verlangte dem Zuschauer einiges ab und machte ihn zugleich zum Zuhörer. Drei Jahre später, im Rahmen der BoBiennale, zeigt der Bahnhof Langendreer den Film am Abend des 11.6. erneut – dieses Mal jedoch nicht mit Musik vom Band, sondern live von und mit dem Orchesterkollektiv The Dorf.
Dabei stehen Musiker und Film in enger Beziehung: „Das Ende der Kohle“ ist nach einer Idee von The Dorf-Musiker Achim Zepezauer entstanden und von selbigem realisiert worden. Die begleitende Musik stammt aus der Feder von Orchesterleiter und Dirigenten Jan Klare und lässt sich nicht in eine einzige Schublade stecken – schließlich fallen unter das Spektrum des 25-köpfigen Ensembles nicht nur Krautrock, Jazz und Trance, sondern auch utopian beats und schlicht „noise“. Viel gefeiert auf internationalen (Jazz-)Festivals wie etwa dem Moers Festival ist der Auftritt im Bochumer Bahnhof Langendreer jedoch kein Heimspiel für die Band: Synchron zum Film und dennoch live geben die Musiker ein Konzert, das vor allem zeitlich haargenau auf die im Hintergrund laufenden Bilder abgestimmt sein muss.
Zepezauers Videoinstallation thematisiert dabei die große Frage nach dem, was bleibt, wenn alles andere schwindet. Ohne Moos nichts los, oder anders formuliert: Was bedeutet das Ende der Kohle? Schwarz/Weiß-Aufnahmen zeigen den Ruhrgebietsalltag, werden schließlich farbig und erstrahlen im Wechsel von Zeichentrick und Animationen. Wer auf bekannte Motive hofft oder einen nostalgischen Streifzug durch die einst großen Orte der Schwerindustrie erwartet hat, hofft vergebens. Zepezauer’s Bilder beziehen sich zwar auf die Realität der Region – ergo Vergangenheit und Gegenwart – und vermitteln dennoch viel eher ein Gefühl. Ein Gefühl, das mal schwer, mal gleichgültig, mal auf bedrückende Weise monoton und doch mächtig daher kommt.
Als utopisch wurden Sound und Bilder im Programmheft der BoBiennale beschrieben. Tatsächlich ist „Das Ende der Kohle“ in Kombination mit den Klängen von The Dorf ein vertontes, bildhaftes Fragezeichen, welches unbedingt mit Bezug zum Ruhrgebiet gelesen werden muss und sich stets wandelt: Mal Ausrufezeichen, mal Semikolon kann es alles sein und zu allem werden – jedoch nie zum finalen Punkt. Die zunächst gegensätzliche Mischung aus Ruhrgebiets-Tristesse und impulsiven Melodien unterstreicht den Mut, den sowohl The Dorf als auch Zepezauer mit ihrer gemeinsamen Darbietung aufbringen: Utopien zu wagen in einer Gegend, in der angeblich wenig zum Träumen einlädt, ist ein mutiges, vielleicht sogar ein tollkühnes Unterfangen. Und doch entspricht die hier gelebte, bild- und tonhafte Utopie dem Wesen des Ruhrgebiets, wo Geld scheinbar eine Seltenheit und Kultur dennoch in großem Reichtum vorhanden ist.
Insofern behandelt „Das Ende der Kohle“ eine der heißesten politischen Fragen, die die Region seit Jahren immer wieder beschäftigt. Zepezauer stellt sie unaufgeregt und geradezu sanft, liegt seiner Idee doch die alchemistische Überzeugung inne, dass aus allem etwas anderes werden kann, solange nur Rohstoffe und Experimentierfreude vorhanden sind. Auch im Falle von The Dorf trifft dies zu: Aus einzelnen Musikern wird durch die gemeinsame Performance ein zu Recht hochgefeiertes Kollektiv, das sich über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus einen Namen macht – und das ganz ohne Kohle.
BoBiennale Festival | noch bis zum 18.6. | www.bobiennale.de
Blicke festival | 15.-19.11.2017 | www.blicke.org
The Dorf | www.thedorf.net
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