Bochum, 25.1. - „Stranger than Fiction“ heißt das Dokumentarfilmfest, welches zum 15. Mal in verschiedenen Städten NRWs stattfindet. Dokumentarfilme aus der Region und der ganzen Welt haben ihre (viel zu) seltene Sternstunde und wollen den Titel keine Lügen strafen. Die Mär vom verstaubten Kurzfilm soll gebrochen werden. Mit der Dokumentation „Der Iran Job“ ist dieses Vorhaben gelungen. Regisseur Till Schauder sprach im Endstation Kino in Bochum-Langendreer über seine Berührungspunkte mit dem Iran, de Idee zu dem Film und über seine Auswirkungen.
„Der Iran Job“ erzählt die Geschichte des amerikanischen Profi-Basketballers Kevin Sheppard, der seine Freundin, Familie und Heimat verlässt und in ein Land fährt, „wo alle auf Kamelen reiten“, um dort eine Saison lang ein Aufstiegsteam namens A.S. Shiraz in die Playoffs zu spielen. Basketball ist im Iran sehr populär, Amerikaner nach den propagandistischen Wandbemalungen nicht. Es ist das Jahr 2008. Mahmud Ahmadinedschad hatte zwei Jahre zuvor den Holocaust als „Mythos identifiziert“, gegen Zionismus und „Besatzerregime“ gewettert, den 11. September angezweifelt und sich mit seiner Atompolitik das Missfallen des Westens zugezogen. Kurz - das Verhältnis zwischen westlichen Staaten und dem Iran war (und ist immer noch) äußerst angespannt. Doch das hindert die iranische Bevölkerung nicht daran, den sympathischen Basketballer aus den Staaten herzlich und mit offenen Armen zu begrüßen. Kevin Sheppard ist der Aufbauspieler, auf den alle Hoffnung lastet, das junge und recht unerfahrene Team nach vorne zu bringen. Doch Sheppard ist nicht nur Lehrer, er ist auch Lernender. Er erfährt von der Lebenswelt junger Frauen, vom Liebes- und Partyleben seiner Mitspieler, von der überbordenden Zuneigung eines älteren Ladenbesitzers, der Schwarze mag, Bob Marley hört und bei einem Besuch in den Staaten Marihuana geraucht hat. „Baaaaaaad Boy!“ Während Sheppard seine Naivität gegenüber der einst fremden Kultur ablegt, befindet sich das Land im Umbruch. Wenn Sheppard nach der Saison gereift zu seiner Freundin fliegt, um ihr einen Heiratsantrag zu machen, bricht im Iran das aus, was später als „Grüne Revolution“ bezeichnet werden wird. Auch eine der Frauen, die Schauders Dokumentation häufig zu Wort kommen lässt, ist von den Repressalien betroffen.
Schauder berichtet nach dem Film, dass dieser nach der Veröffentlichung hohe Wellen geschlagen habe. Kevin Sheppard, er selbst und seine Frau seien im Iran zur Persona non Grata erklärt worden. Zwei der Rapper, die die Musik zum Film beigetragen hatten, wollten namentlich nicht erwähnt werden aufgrund der Fatwa gegen den Rapper Shahin Najafi. Eine der jungen Frauen werde wiederholt von der Geheimpolizei verhört, eine andere lebe nun im politischen Asyl in England. Und dennoch stünden die Frauen nach wie vor zu ihrem Auftreten im Film. Ihm, Schauder, sei die Sicherheit der Frauen stets wichtig gewesen, und er habe in Rücksprache mit ihnen gestanden bei jedem Schritt der Publikation. Dass der Kontakt zu den Frauen überhaupt hergestellt wurde, lag an Kevins charismatischer Art. „Documentary Gold“ nennt Schauder dies. Geplant war die Sicht der Frauen nicht, doch sie trägt einen wichtigen Aspekt zum Film bei. Die Frauen treten emanzipiert auf, wissen dabei um ihre Lebensrealität, sind leicht politisch bis ablehnend gegenüber dem Islam. Jede Frau verhält sich ganz individuell. Die häufig vorgenommene Verallgemeinerung in den westlichen Medien hält dieser Wirklichkeit nicht Stand. Ebenso sei die Vorstellung falsch, dass das Leben der Iraner nur aus Arbeit und Beten besteht. Schauder war selbst sehr erstaunt, welche ausgelassenen Partys im Privaten gefeiert werden. Mit der Betonung auf „privat“. Seine Intention, mit der Dokumentation das westliche Bild über den Iran etwas zurechtzurücken, ist im Endstation Kino jedenfalls aufgegangen.
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