trailer: Frau Brogan, unglücklicherweise herrschen Männer über die Welt. Wäre die NSA wohl interessiert an den Gesprächen in der „Ladies Lounge“ in Hagen?
Anja Brogan: Ich habe mich dagegen entschieden, meine Arbeit „Ladies Lounge“ in Hagen zu zeigen. Die alten, weißen, heteronomen Männer der NSA hätten allerdings beim Abhören eine neue Sensibilisierungsstufe für den Umgang mit ihren Partnerinnen erreichen können.
Geld scheint der einzige Treibstoff der Welt – können wir das System irgendwann durchbrechen?
Innerhalb unserer warenförmigen Bildkultur ist es schwierig, Gegenmodelle überhaupt vorstellbar zu machen. Unser Sehen und Denken sind derartig kolonisiert, dass die Auslöschung der fremdbestimmten Abhängigkeiten eine gewisse Anstrengung erfordert. Meine Ausstellung „Size Matter“ soll Motivation und Inspiration sein, sich durch eben die Anstrengungen mit der Emanzipation des eigenen Seins zu belohnen.
Der Rechtspopulismus ist in Europa auf dem Vormarsch. Das wird auch Auswirkungen auf den Kunstmarkt haben. Erschrocken oder amüsiert?
Man könnte mit Pierre Bourdieu argumentieren: Egal wie kritisch und radikal man auch vorgeht, das System stürzt nicht ein, das Kulturelle ist immer eine Beute des Ökonomischen und Politischen. Resignation ist der Treibstoff des Widerständigen. Wo Joseph Beuys sich durch Kraftvergeudung ernährte, könnten wir formulieren: Energie durch Feminismus!
Die riesige Skulptur „Die Liegende“ erinnert an einen ruhenden Buddha. Das ist doch sicher kein Zufall, und schauen da Frauen und Männer anders drauf?
Die Frage nach Gender – hier nach dem Verhältnis bestimmender Definitionen von Weiblichkeit – hat eine fortdauernde Relevanz für die Kunstgeschichte. Der kunsthistorische Kanon wurde immer von Männern geprägt. Schon eine einfache Analyse der Auswahl von Werken, die angeblich zur besten europäischen Kunst gehören, zeigt sofort, wie ideologisch motiviert die Konstituierung der Auswahl ist. Jahrzehntelang haben männliche Kunsthistoriker das Werk weiblicher Künstler nicht beachtet und somit nicht in den kunsthistorischen Kanon aufgenommen. Das Auslassen ganzer Kategorien von Kunst und vieler Künstlerinnen hat zu einer verzerrenden Vorstellung und verzerrten Geschichtsschreibung geführt. Wer nackt ist, ist wehrlos. Wessen Körper in Gesellschaft entblößt ist, der ist dem Blick und vielleicht auch den Handlungen eines Täters ausgeliefert. Zivilisationshistorisch ist augenscheinlich, wie die Bekleidung als Signatur einer in sich selbst wieder ausdifferenzierten Macht über das nackte oder halbnackte Opfer fungiert. Der König, der Kolonialist, der Unternehmer, der Richter trägt seine Robe, die Sklavin, die Eingeborene, der Proletarier und der Häftling ihre oder seine Ketten. Also fast nichts. Den Körper vor der Zudringlichkeit des herrschenden Blicks zu bewahren, erscheint in dem Zusammenhang nicht als Folge eines „natürlichen“ Schamempfindens, sondern als Abwehrmechanismus gegen jene zweite Haut über dem Körper, deren Besitz und semiotisch-materielle Exklusivität die Träger auszeichnet. Der nackte, besonders der weibliche nackte Körper ist auch deshalb seit jeher eines der Lieblingsthemen der Kunst.Als klassisches Objekt des männlichen Begehrens wurde er in der Bildhauerei endlos modelliert, vergöttert und verdammt, erhöht und zerstückelt.Doch die Nacktheit ist mehr: Sie kündet in ihren klassischen Darstellung auch vom Glück der Körperlichkeit und der Selbstbestimmtheit des weiblichen Körpers, darum geht es in meiner Arbeit.
Einige der Subtexte ihrer Arbeiten sind codiert. Kunst nur für schlaue Menschen?
Als ästhetische Schulung vielleicht, im Sinne einer Emanzipation. Kunst ist für mich eher ein Medium. Wer sich die Arbeiten in Hagen betrachtet, wird kulturelle, gesellschaftliche sowie feministische Beschreibungen finden und angedeutete Referenzen einer kritischen, alternativen Praxis, aber kein politisches Programm, welches die Kunst in eine doktrinäre Richtung interpretiert.
Was macht die Soloshow „Size matters“ in Hagen so wichtig?
Der französische Philosoph Michel Foucault hat einen Kritikbegriff eingeführt, der auf der Analyse der Macht und ihrer sozialen Kontrollmechanismen bezogen ist und sich dabei im hohen Maße selber misstraut. Denn wo Kritik sich versteift und instrumentell wird, kippt sie in Selbstdisziplinierung und stalinistische Selbstkritik um. Was mich an der Ausstellung in Hagen interessiert, ist, zunächst einmal einen kritischen Anspruch im kulturellen Feld und möglicherweise einen Begriff von feministischer Praxis anders zu denken.
Anja Brogan: Size Matters | 30.6. - 11.8. | Osthaus Museum Hagen | www.osthausmuseum.de
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