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Linus Ebner und Martin Widyanata
Foto:  Sandra Schuck

„Wir wollen andere Wege auf der Bühne gehen“

22. Februar 2018

Gespräch zu „Sisyphos!“ im Bochumer Prinzregenttheater – Premiere 03/18

Linus Ebner und Martin Widyanata proben unter Leitung von Romy Schmidt an „Sisyphos!“, einer Performance zum absurden Leben, inspiriert von Albert Camus‘ philosophischem Essay „Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde“ von 1942. Darin schreibt er: „Um zu sein, muss der Mensch revoltieren, doch muss seine Revolte die Grenze wahren, die sie in sich selbst findet.“

trailer: Was ist so spannend daran, einem Schauspieler beim Kugel-bergauf-Rollen zuzusehen?
Linus Ebner: Spannend ist, wie er es macht. Aber die Frage impliziert natürlich auch, ob wir das den ganzen Abend lang machen. Die Performance ist sicher mehr als ein Schauspieler, der den ganzen Abend lang eine Kugel einen Berg hochrollt.

Und es geht weniger um griechische Mythologie, mehr um Albert Camus?
LE: Beides. Wir haben es sehr intensiv mit Camus auseinandergesetzt, weil er so gegenwärtig ist. Und weil er einen großen Einfluss hat auf modernes Schicksalsdenken. Schließlich ist es aber unser eigenes Stück, was sich sowohl auf Camus als auch auf alle möglichen Sisyphos-Versionen bezieht, die wir interessant finden.

Wie muss man sich den Abend vorstellen?
LE: Wir kreieren sicher eine Form, die nicht dem klassischen Geschichtenerzählen entspricht. Wir wollen andere Wege auf der Bühne gehen. Aber es gibt sehr wohl eine Handlung. Die entsteht autark aus dem Zusammenspiel zwischen der Musik von Martin Widyanata und der Performance. Und der Vermischung beider Personen: Wer ist der DJ und wer ist der Performer? Das hat dann auch einen philosophischen Aspekt mit der Frage, wer ist Sisyphos und wer ist der Stein? Wer ist Subjekt, wer ist Objekt? Die Texte, die Szenen, die wir generiert haben, sind autonom entstanden. Wir haben uns mit diversen Inhalten vollgestopft, die mit dem Themenkomplex zu tun haben und von innerer Freiheit, von politischer Freiheit handeln – Hannah Arendt zum Beispiel. Solche Einflüsse spielen da auch mit rein. Im Wesentlichen haben wir die Szenen in Improvisationen entwickelt und das Erarbeitete dann später verdichtet.

Das Annehmen von Absurdität führt bei Camus immer in die Revolte.
LE: Genau. Das ist ein ganz inspirierender Text. Für mich persönlich steckt da die Frage drin, inwieweit hat er uns wirklich beeinflusst. Der ist ja jetzt auch schon über 70 Jahre alt. Und es ist ja was passiert mit dem Menschenbild, mit den kämpfenden, sich verausgabenden Subjekten. Wir arbeiten nur mit dem Atheismus, der da angesprochen wird. Das hat auch kritische Aspekte. Der Materialismus heutzutage hat sicher zu etwas anderem geführt, als Camus sich das vorgestellt hat.

Und: Der Stein rollt noch, sagt Camus in dem Text. Also tagtäglich robotten gehen und dabei Spaß haben?
Martin Widyanata: Am Ende ist es wahrscheinlich genau das, wie man sich den Mythos naiv vorstellt. Um auf die Frage zu antworten: Der Stein rollt erstmal ewig. Und – eine andere Antwort wird es auch an unserem Abend erstmal nicht geben. Unser Ansatz ist tatsächlich ein sehr einfacher: Wir gehen von uns selbst aus, wie sehen wir den Mythos, was verbinden wir damit? Das geht in völlig verschiedene Richtungen, verschiedene Interpretationen, auf verschiedene Ebenen, ob hinsichtlich der Literaturvorlage von Camus oder auf visueller oder auf musikalischer Ebene. Uns interessierte genau dieser Ablauf und nicht eine neue Antwort darauf, wie lange der Stein noch rollen könnte.

Linus Ebner und Martin Widyanata
Foto: Sandra Schuck
Zur Person

Linus Ebner, geboren in Mexiko-Stadt, studierte Schauspiel an der Folkwang UdK in Bochum und trat schon während des Studiums am Schauspielhaus Bochum und am Al Kasaba Theatre in Ramalla auf. 2013 gewann er den Friedl-Wald-Ensemblepreis. Seit 2014 ist er freischaffend unterwegs.

Martin Widyanata, geboren in Aachen, studierte Medieninformatik an der FH-Bonn-Rhein-Sieg, Musikinformatik an der HfM Karlsruhe und macht seinen Master am Institut für populäre Musik der Folkwang UdK. Er ist als DJ und Produzent tätig.


Camus macht ja auch Optionen auf. Zum einen kann man einfach aufhören und sagen, das mache ich nicht mehr mit…
LE: Selbstmord?

Oder wir lassen gemeinsam den Stein mal oben liegen und warten ab, was passiert?
LE: Sie meinen als eine Inspiration für eine gesamte Befreiung der Menschen, dass es eine kollektive Erkenntnis gibt?

MW: Das meinte ich mit den verschiedenen Ebenen. Wenn Sie von den 1960er, 70er Jahren ausgehen, wo es eine Gesellschaft gibt, in der es zu Veränderungen, sogar zur Revolte kommt, kann man den Stoff auch von einer in sich gekehrten, persönlichen Perspektive aus sehen. Was treibt einen heute um, wenn es nicht den gesellschaftlichen Drang zur Veränderung gibt? Was, wenn wir hier sitzen und uns Gedanken über unseren Arbeitsplatz machen? Warum komme ich nicht aus dem Bett raus? Das ist auf jeden Fall auch ein rollender Stein.

Und welche Funktion hat Romy Schmidt in diesem Zusammenhang?
LE: Sie ist die Spielleiterin. Ich glaube, sie scheut das ein bisschen, sich hier Regisseurin nennen zu lassen. Sie hat die Funktion, es sich von außen anzuschauen und das Ganze auch in einen dramaturgischen Zusammenhang zu bringen.

MW: Gerade, wenn sehr viel Material entsteht, braucht man jemanden, der da sehr gut durchschauen kann.

Ist sie also stärker an den Szenen beteiligt oder wählt sie nur aus?
LE: Die Szenen entstehen aus unterschiedlichen Herangehensweisen. Manchmal nehmen wir aus einer Improvisation nur einen Satz und baut ihn in eine Szene, die man sich am Schreibtisch ausgedacht hat. Oder man hat in der Improvisation eine Szene gehabt, die war schon so vollkommen, dass man sie nur noch in den richtigen Zusammenhang bringen muss. Das ist letztlich ein Vorgehen, was man auch in der Arbeit mit dramatischen Texten kennt. Letztlich müssen Sie sehr ähnliche Entscheidungen treffen.

Welche Funktion hat denn die Musik in dem Zusammenhang?
MW: Das ist ein sehr offener Prozess. Wir probieren viel aus und es gibt dadurch ein Wechselspiel. Mal entstehen die Szenen aus der Dynamik der Musik, dann wird die Musik wieder dem Agieren auf der Bühne angepasst. Deshalb stehen die Geräte auch auf der Bühne – es ist ein sehr improvisatorisches Set-up. Da wird nicht Play gedrückt und dann kommt ein fertig produzierter Track. Darüber hinaus gab es sofort Assoziationen zu Sisyphos und dem wiederkehrenden Muster,  was in meinem Kopf gleich mögliche Arrangements und Stücke hervorgerufen hat. Repetition – allein das Wort reicht schon, um ein großes musikalisches Fass aufzumachen.

Also sind die beiden Kunstformen in dem Projekt gleichwertig?
MW: Ja, das würden wir so sagen.

„Sisyphos!“ | Sa 17.3.(P) 19.30 Uhr, So 18.3. 18 Uhr | Prinzregenttheater | Bochum | 0234 77 11 17

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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