Als Kritiker:innen nicht nur Screener anschauten oder in Pressevorführungen Platz nahmen, wo ihnen zu analogen Zeiten natürlich nur die besten Filmkopien vorgeführt wurden, sodass sie vom jahrelangen Elend zu dunkler 35-mm-Kopien gar nichts mitbekamen, las man häufiger mal von den Platzanweiser:innen.
Sebastian Feldmann von der Rheinischen Post erschien gerne in den ersten Nachmittagsvorstellungen in Düsseldorf, sein Kollege Georg Seeßlen kam in München gerne in der zweiten oder dritten Woche eines Films, um ihn dann, umringt von „normalem“ Publikum, spät, aber nicht zu spät, unter die Lupe zu nehmen.
War der Film dann nicht so gut, schrieb Seeßlen: „Aber dafür hatten wir eine kleine cholerische Platzanweiserin, die alle naslang mit ihrer Taschenlampe kontrollieren kam, ob auch niemand die Füße auf die Stuhl-Vorderreihe legt. Und das war dann auch wieder ein Stück Leben.“
Dieses Stück Leben geht nun in vielen Kinos, vor allem in den Multiplexen, zu Ende. Denn immer öfter kann man einfach so in den Saal marschieren. Niemand reißt mehr die Karten ab. Niemand leuchtet den Zuspätkommenden den Weg. Der Film startet automatisch. Und ein Kamerasystem im Saal kontrolliert, ob jeder richtig sitzt.
So sind die Platzanweiser:innen, die früher hinter Absperrungen hin und her spazierten und die Gäste extra etwas länger warten ließen, um sie dann endlich in den Kinosaal zu lassen, tatsächlich bald Geschichte. Folglich werden wir einige Sätze, die jahrzehntelang zum Kinobesuch gehörten, nicht mehr hören:
„Viel Spaß beim Film.“
„Sie sitzen Rang. Also die letzten 10 Reihen, bitte.“
„Das ist beim zweiten Aufgang, genau in der Mitte.“
„Sie sitzen falsch. Das hier ist Rang. Sie müssen vorne ins Parkett.“
„Psst. Der Film hat schon angefangen. Kommen Sie einfach hinter mir her.“
„Kann ich mal Ihren Ausweis sehen?“
„Was machst du hier in Kino 3? Du hast eine Karte für Kino 2. Der Film hier ist ab 18, Bürschlein!“
„Der Film ist zu leise? Warten Sie, ich komme gleich.“
„Will jemand Eis?“
und natürlich:
„Nehmen Sie bitte die Füße vom Sitz!“
Eine leise Hoffnung gibt es noch. Wenn Sie nämlich falsch sitzen (oder gar keine Karte haben) und das System das erkennt, muss eigentlich jemand kommen und Ihnen Bescheid sagen. Dann könnte ein lebendiges „Kann ich mal Ihr Ticket sehen?“ inklusive Taschenlampenshow doch wieder zum Kinobesuch gehören.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Der Kurzfilm im Rampenlicht
Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 2024 – Vorspann 05/24
Was läuft im Kino?
Über die Programmierkunst echter und gespielter Helden – Vorspann 03/24
Prognose: Lachstürme
Die Komödie findet endlich ins Kino zurück – Vorspann 02/24
Emanzipation und Alltag
Starke Protagonistinnen im Januar – Vorspann 01/24
Was vom Kinojahr übrig bleibt
Rückblick 2023 – Vorspann 12/23
Lost Place – Found
Vor 10 Jahren feierte das Hamburger Rialto ein zweites Leben – Vorspann 11/23
Künstler:innenportraits im Oktober
Neue Filme von Margarethe von Trotta und Wim Wenders – Vorspann 10/23
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum