Jetzt schlägt sie also doch, die Stunde der Kinokomödien. Es ist ja kein Geheimnis, dass gute Komödien Mangelware sind – auch, weil sich offenbar immer mehr Menschen ihre tägliche Kicher- oder Glucks-Portion bei ein paar kurzen Videos abholen, wovon nicht wenige tatsächlich nur aus aufgesagten Witzen bestehen. „Kennen Sie den schon…?“ – Das ist beileibe kein Rezept von gestern, sondern in den sozialen Medien der Klick-Hit. Wenn sich die Witzeaufsager dann bereits vor dem ersten Satz vor Lachen krümmen und losprusten, ist das oft unterhaltsamer als der früher oder später folgende Witz.
Wo, um Himmels Willen, kann man ausrufen, ist denn nun die gute alte Kinokomödie hin, die sich den Alltag, die Konventionen der Gesellschaft, meinetwegen auch die Politik vorknöpft? Ist der tägliche News-Brei schon so „over the top“, dass es keine brillanten neuen Komödiendrehbücher mehr geben kann? Oder haben auf Wackelvideos ausrutschende Fußgänger, von Leitern stürzende Arbeiter oder schlimm daneben springende Badegäste das Erbe von Billy Wilder und Konsorten buchstäblich plattgestolpert?!
Am dritten Januar-Wochenende konnten Yórgos Lánthimos freche Erweckungsgeschichte „Poor Things“ und Will Glucks Fast-Ehe-Komödie „Wo die Lüge hinfällt“ den ganzen Selbstdarstellern und Unfallvideo-Hochladern jedenfalls ordentlich einen einschenken. Einiges spricht dafür, dass der Erfolg der Kinokomödie weiter anhält. So kommen in den nächsten Wochen Colin Wests Wissenschaftsgroteske „Linoleum – Das All und all das“ und Josef Haders bitterböse Unfallkomödie „Andrea lässt sich scheiden“ in die Kinos.
In seinem Buch „Klassiker der Filmkomik“ wies der große Georg Seeßlen 1982 darauf hin, dass „Film-Komik nicht nur einen Platz in der Filmgeschichte, sondern auch in der Geschichte unseres Alltags, unserer ‚Philosophie‘ hat“. Er machte dabei auch einen Unterschied zwischen der Filmkomödie, die sich den Gesetzen der Realität oder des Erzählflusses unterwerfen muss, und der konkret durch den Komiker vermittelten Filmkomik, die im Grunde alles außer Kraft setzen könne und damit die eigentliche Macht besitze. In der „filmischen Komik“ gehe es eben nicht um das „Ewigmenschliche“, sondern „um konkrete historische und alltägliche Erfahrungen, denen unalltäglich begegnet wird“.
Angesichts der ganzen Bedenkenträger, Mahner und Warner, die die Möglichkeiten des Lebens in Newstickern und Newsfeeds alltäglich kleinrechnen oder uns in Schockstarre versetzen wollen, kann man nur rufen: Lasst endlich wieder die Komiker herein. Vor allem auch auf die Leinwand.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Weinende Wände
Das Filmtheater als Begegnungs- und Spielstätte – Vorspann 09/25
Sommerkino als Filmarchiv
Kollektives Gedächtnis statt Konserve – Vorspann 08/25
Kinofest-Test
Lünen als Versuchslabor für die Kinozukunft – Vorspann 07/25
Mikrodramen vs. Spielfilm
Was können Kinos gegen die Schnipselflut tun? – Vorspann 06/25
Amazon-Bond & beyond
007 ist zum Streaming-Start freigegeben – Vorspann 03/25
Aus unterschiedlichen Galaxien
Im Februar starten Biopics über Bob Dylan und Maria Callas – Vorspann 02/25
Zwischen Helden- und Glückssuche
Die Kinotrends des Jahres – Vorspann 01/25
Besuchen Sie Europa
Die Studie Made in Europe und ihre Folgen – Vorspann 12/24
Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24
Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
„Es ist vertraut, aber dennoch spannend“
Schauspielerin Barbara Auer über „Miroirs No. 3“ – Roter Teppich 09/25
Am Puls der Zeit
Das 2. Unlimited-Hope-Filmfestival in Bochum und Dortmund – Festival 09/25
„Die Filme nehmen eine klare Haltung ein“
Direktor Jakob Gatzka über das 2. Unlimited-Hope-Filmfestival in Bochum und Dortmund – Interview 09/25
„Das Leben ist absurd, nicht der Film“
Regisseur Elmar Imanov über „Der Kuss des Grashüpfers“ – Gespräch zum Film 08/25
Arbeitskampf und Dekolonisation
Das IFFF 2025 in Dortmund und Köln – Festival 04/25
Opferbereit gegen das System
Dokumentarfilm „Algier – Hauptstadt der Revolutionäre“ im Essener KWI – Film 02/25
Früher war mehr Kino
Führung durch die Essener Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ für trailer-Leser:innen