Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
15 16 17 18 19 20 21
22 23 24 25 26 27 28

12.557 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Bocksches Filmset mit Stoffpüppchen
Foto: Mark Brandenburgh

Vom Geist befreites Sammelsurium

01. November 2013

Bundeskunsthalle in Bonn zeigt mit John Bock ein Highlight – Kunst in NRW 11/13

Sperrmüll war gestern, heute ist er bereits Kunst. Nur auf das richtige Arrangement kommt es an. Dann wird das Sammelsurium sogar Filmset, Bühne, Objekt und Installation. Mit „Im Modder der Summenmutation“ zeigt die Bundeskunst(sperrmüll)halle in Bonn eine Ausstellung des norddeutschen Surrealisten, Dadaisten und Filmemachers John Bock. Es ist eine groteske Werkschau vor einer real existierenden Kulisse, in der der Künstler gerade seinen jüngsten Film gedreht hat. Auch mit Besuchern, die sich dann darin wiederfinden können oder in den skurrilen Vorträgen, den sogenannten „Re-Lectures“, die er bereits an der HfBK in Hamburg entwickelt hatte. Wissenschaft im Sperrmüllwirrwarr ist dabei kein Widerspruch; Bock (Jg. ‘65) hat in Hamburg immerhin auch sechs Semester Betriebswirtschaft studiert, bevor es ihn doch in das Universum des Modder teleportierte.

Die Struktur der Schau ist ein gelenkter Zehn-Stationen-Parcours durch zahlreiche Räume. Immer gegen den Uhrzeigersinn, immer durch Stoffwände weiß und schwarz getrennt, immer wieder wartet ein neues visuelles Bombardement an Eindrücken und Merkwürdigkeiten auf den Besucher und ab und an auch einen kunstkennenden Vermittler, der die unvermeidbaren Missverständnisse ausräumen möchte. Wenn ich gewusst hätte, dass Bock gleich nach dem Entree erst einmal einen völlig leeren, weiten, weißen Raum mit einer Vitrine bestückt hätte, in der nichts anderes zur Schau gestellt wird als das Nasenhaar einer Schauspielerin aus einem der Filme, dann hätte alles natürlich anders kommen können. Doch Anarchos der Kunst begegnet man eben ebenso. Also wandere ich falsch herum, lande zuerst im Ausstattungsraum des Filmsets, wo ein mit Zeugs übersäter Schminktisch steht, Perücken und Kostüme herumhängen, gleich anschließend die erste (eigentlich letzte) Setkulisse mit Mähdrescher und Kuhboxen, mit fluxusartigen Figur-Objekten aus Ritterrüstungsteilen und Stofffetzen. Irgendwo steht eine undefinierte 12-Sprossen-Leiter; ob die vom Aufbau liegengeblieben ist oder tatsächlich zur Installation gehört, bleibt ungewiss.

Anders als beim vielleicht seelenverwandten Jonathan Meese, mit dem Bock zwangsläufig fälschlich von den Schubladenverwaltern der Kunsthistorikerzunft immer wieder verglichen wird, hat der Sperrmüll hier eine eher kindliche Seele, die mit ausgesprochener Morbidität preisgibt, wo Meese oft dumpf provoziert. Bock schafft einen vitalen Kosmos aus dem Nichts, dessen Gravitation die Blicke und Gedanken der Betrachter saugt, um sie dann im unverständlichen Modder einer noch nicht stattgefundenen Evolution wieder zerfließen zu lassen.

Unbedingt durchhalten sollte man sein analoges 3D-Kino, das der überzeugte Cineast im Mittelteil aufgebaut hat. Manchmal gehen dort Zuschauer zu früh und bringen sich dann um den verdienten Lohn des leichten, mechanischen Grusels, bevor sie in die Filmretrospektive wandern, wo in zehn grünen Boxen Blut und Speichel splattern, Science und Fiction sich vereinen. Sehen sollte man dieses kaum beschreibbare Modder-Universum unbedingt. Wenn Sie sich jetzt auf den Weg nach Bonn machen, ist der Film, der darin gedreht wurde, auch schon fertig.

„John Bock – Im Modder der Summenmutation“ I bis 12.1. I Bundeskunsthalle Bonn I www.bundeskunsthalle.de

Peter Ortmann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Back to Black

Lesen Sie dazu auch:

Gesellschaftlicher Seismograph
8. Internationales Bonner Tanzsolofestival – Tanz in NRW 03/23

Der Mensch bei sich
Hede Bühl in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 03/21

Aus der Distanz ganz nah
Bert Didillon und Hanna Kuster bei den Grölle pass:projects in Wuppertal – Kunst in NRW 03/21

Flimmernde Bilder, die Menschen veränderten
„Kino der Moderne“ in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 01/19

Präsenz durch Abwesenheit
Heavy Metal Honey: Der Georgier Vajiko Chachkhiani in Bonn – Kunstwandel 09/18

Reise durch ein ganzes Leben
Pressekonferenz zu Marina Abramovićs „The Cleaner“ in Bonn – Kunst 04/18

Der effektive Wert von Zeit
„The Cleaner“ von Marina Abramović in der Bonner Bundeskunsthalle

Sitzen, Schreiten, Tanzen
Ferdinand Hodler in der Bundeskunsthalle Bonn – Kunst in NRW 01/18

Rendezvous der Bildhauer
Henry Moore im Arp Museum Rolandseck – Kunst in NRW 10/17

Der letzte Auftritt
ZERO im LVR-Landesmuseum Bonn – Kunst in NRW 03/17

Das Labyrinth der Verlorenheit
„Gregor Schneider – Wand vor Wand“ in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 02/17

Hinter dem Vorhang
„Symbolismus heute“ im Clemens Sels Museum Neuss – Kunst in NRW 01/17

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!