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Steuergerechtigkeit geht alle an

22. Dezember 2015

Wie Konzerne es schaffen, dem Staat und damit jedem Einzelnen Milliarden vorzuenthalten – THEMA 01/16 GERECHT STEUERN

Im Jahr 2011 hat Apple vom deutschem Staat mehr als 200.000 Euro an Steuern zurückerstattet bekommen. So berichten es unter anderem Max Uthoff und Claus von Wagner in einer Folge der„Anstalt“. Auch andere Großkonzerne, wie Starbucks und Amazon, Ikea und Fiat, haben in den vergangenen Jahren in Deutschland keine oder nur sehr wenige Steuern bezahlt. Und das, obwohl sie Milliardengewinne eingefahren haben. Wie kann das sein?

Das ungute Gefühl, dass in Deutschland vor allem die Mittelschicht, kleine Betriebe und sozial Schwache Steuern zahlen müssen, während reiche Einzelpersonen und Firmen sich davor drücken, ist nicht bloß ein Gefühl. Zwar wäre es falsch zu behaupten, dass DIE Reichen alle keine Steuern zahlen. Doch zwei Fakten sind nicht zu leugnen. Zum einen fordern einige deutsche Vermögende, darunter Ernst Ulrich von Weizsäcker und Kabarettist Georg Schramm, dass Millionäre in Deutschland stärker besteuert werden und sich nicht vor ihrer Verantwortung drücken sollten. Zum anderen zeigen die Recherchen investigativer Journalisten: Einige Großkonzerne nutzen unterschiedliche Steuergesetze in verschiedenen Ländern so geschickt aus, dass sie fast nirgendwo Steuern zahlen müssen. Drei Faktoren helfen ihnen dabei.

Faktor 1 besteht in der Grundlage der Besteuerung. Bei einem Arbeitnehmer ist klar, wie hoch der Jahresverdienst ausfällt und wie viele Steuern gezahlt werden müssen. Diese werden direkt vom Staat einbehalten, so dass man beim Arbeitslohn gar keine Chance hat, seine Steuern nicht zu zahlen. Bei Firmen läuft das anders. Jedes Unternehmen macht im Jahr einen gewissen Umsatz. Darauf fallen aber keine Steuern an, sondern nur auf den reinen Gewinn. Dieser wird ermittelt, indem sämtliche Kosten vorher abgezogen werden. Was genau als Kostenfaktor ausgewiesen werden darf, ist teils gesetzlich festgelegt und liegt teils im Ermessen des Unternehmens. Recherchen, wie die Luxleaks, haben gezeigt, dass einige Großkonzerne in diesem Punkt sehr findig sind. So werden etwa Beratungshonorare, Managementkosten oder Lizenzgebühren in Millionenhöhe angegeben, die den Gewinn schmälern. Zumindest auf dem Papier. Denn in der Realität wandern die Gebühren häufig auf ein konzerninternes Konto.

 

Das ist möglich durch Faktor 2: Die Aufteilung in Mutter- und Tochtergesellschaften. Da sämtliche Töchter im Steuerrecht als eigenständige Firmen gewertet werden, können Gebühren konzernintern verschoben und somit Steuern gespart werden. So zahlen etwa die deutschen Starbucks-Cafés hohe Lizenzgebühren an ihren Mutterkonzern in den Niederlanden. Die offizielle Begründung lautet, dass die Cafés nur dann den Namen„Starbucks“verwenden dürfen. Praktischerweise müssen Einnahmen aus Lizenzgebühren in den Niederlanden kaum versteuert werden. Wenn sie aus den Niederlanden in ein anderes Land weitergeleitet werden, sind gar keine Steuern fällig.

 

Dass solche Steuertricks völlig legal sind, liegt an Faktor 3: Die europäischen Finanzgesetze ermöglichen eine große Intransparenz. Es lässt sich für Steuerprüfer kaum nachvollziehen, wo die Milliardenumsätze hinverschwinden. Somit ist es für Großkonzerne möglich, einen hohen Aktienwert und jährlich wachsende Umsätze zu präsentieren und gleichzeitig fast keine Steuern zu zahlen.

 

Durch Recherchen und Veröffentlichungen, unter anderem durch die Süddeutsche Zeitung, NDR, WDR, den britischen Guardian und die französische LeMonde, steht die Politik unter Druck, diese Umstände zu untersuchen. Mittlerweile hat die EU-Kommission einige Steuerregelungen aus Luxemburg und den Niederlanden als nicht vereinbar mit geltendem EU-Recht erklärt. Zwar darf die Kommission keine Gesetze ändern, doch wenn ein Staat einer Firma besonders günstige Steuerkonditionen gewährt, kann das als illegale Beihilfe gewertet werden. So ist es auch im Fall von Starbucks und Fiat im Herbst 2015 geschehen. Die Firmen müssen nun zwischen 20 und 30 Millionen unrechtmäßig gewährter Steuervorteile zurückerstatten.

 

Doch das ist nur ein kleiner Teil des Gesamtproblems. Schätzungen gehen davon aus, dass den EU-Staaten durch Tricks jedes Jahr etwa eine Billion Euro Steuergelder verloren gehen. Würden diese Steuern regulär bezahlt, wäre die Finanzkrise innerhalb weniger Monate gelöst. Millionen Griechen, Spanier und Portugiesen hätten wieder eine Zukunft. Daher fordern verschiedene Organisationen, dass die EU-Steuergesetze aktualisiert werden. Doch einige Länder sperren sich dagegen. Unter anderem Deutschland.Das ist allerdings relativ unbekannt, weil kaum jemand wirklich Lust hat, sich mit den Finanzregeln der EU auseinander zu setzen. Eigentlich würde das aber für alle Bürger enorme Vorteile bringen. Wer also noch einen guten Vorsatz für's Jahr 2016 sucht: Wie wär's mit etwas persönlichem Einsatz für mehr Steuergerechtigkeit?


Aktiv im Thema

www.appell-vermoegensabgabe.de
www.vermoegensteuerjetzt.de
netzwerksteuergerechtigkeit.wordpress.com | Netzwerk Steuergerechtigkeit
www.sueddeutsche.de/thema/Luxemburg-Leaks | Luxemburg-Leaks bei sz.de
www.taxjustice.net | Int. Netzwerk für Steuergerechtigkeit mit Sitz in Großbritannien

Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: choices.de/thema und engels-kultur.de/thema

Thema im Februar: GUTE ZEIT – Statt guter Vorsätze, weg mit dem Pessimismus! Gute Nachrichten von hier und aus anderen Ländern.
Projekte von Staaten, Kommunen und Initiativen, die Mut machen.

 

Marina Engler

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