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Sol Gabetta
Foto: Julia Wesely

„Es ist ein Geschenk, wenn man ein Talent mitbekommt“

26. Februar 2020

Cellistin Sol Gabetta gastiert in Dortmund – Interview 02/20

Die argentinische Cellistin Sol Gabetta ist fraglos ein Weltstar. Im Februar und März ist sie gleich mehrfach in Köln und Dortmund zu erleben. Mit uns sprach sie über ihren Werdegang, aber auch darüber, wie sich ihr Leben durch ihren Sohn geändert hat.

trailer: Sol, wie bist du zum Cello gekommen?

Sol Gabetta: Ich habe das Glück gehabt, in meiner Familie schon zwei Musiker gehabt zu haben. Das war meine Mutter, die Pianistin war, und ist und mein Bruder Andrès, der Geiger ist. So habe ich über die beiden die erste Verbindung zur Musik gehabt, vor allem natürlich über meine Mutter. Ich wollte dann auch in einem Kindergarten anfangen, in dem viel gesungen wurde – ich habe unheimlich viel gesungen als Kind. Wir hatten in diesem Kindergarten quasi einen eigenen Kinderchor. Das war meine erste Verbindung zur Musik. Das Wichtigste überhaupt – noch bevor ich ein Cello berührt habe – war die Freiheit, die ich beim Singen empfunden habe. Es war dann einfach Glück, dass ich beim Cello gelandet bin, es hätte vielleicht auch etwas anderes sein können. Es gab schon eine Affinität zu den Streichinstrumenten, obwohl ich eigentlich meiner Mutter nacheifern und Pianistin sein wollte. Aber als ich dann das erste Mal eine Geige in der Hand hielt, war sofort klar, dass es irgendwie bei den Streichern bleiben würde. Ich hatte Glück, dass ich dann mit vier Jahren ein Cello in die Hände bekam. Und dieses Cello war eine Entdeckung, weil alles so natürlich für mich war. Dieses Instrument war einfach das Richtige. Es war einfach eine Glückssache!

Was hat dich schon als kleines Kind so sehr an diesem Instrument fasziniert, dass du es sogar trotz Hindernissen lernen wolltest?

Schon die Größe dieses Instruments hat mich als Kind fasziniert: Auf einmal hatte ich ein Instrument, das ungefähr fünfmal größer als das von meinem Bruder war. (lacht) Aber das war natürlich nicht der Hauptgrund. Für mich war es einfach toll, dass ich alles, was ich zwei Jahre zuvor auf der Geige über die Suzuki-Methode gelernt habe, unfassbar schnell auf dem Cello anwenden konnte und dieses somit sehr schnell im Griff hatte, ohne es überhaupt richtig gelernt zu haben. Und das, obwohl die Positionen beim Cello – auch beim halben Cello – natürlich ganz andere waren als bei der Geige. Und dennoch hatte ich sehr schnell das Gefühl, das Instrument, das eigentlich viel zu groß für mich war, erstaunlich gut unter Kontrolle zu haben.

Zum Studium seid dein Bruder und du nach Spanien gegangen, während dein Vater mit deinen beiden anderen Geschwistern in Argentinien geblieben ist. Inzwischen bist du selber Mutter. Würdest du das auf diese Art und Weise auch bei deiner eigenen Familie tun?

Ich kann es nicht sagen. Ich habe zwar ein Kind, aber er ist noch zu jung, um mir zu zeigen, dass er für irgendetwas ein besonderes Talent hätte oder eine besondere Affinität. Insofern kann ich diesen Vergleich noch nicht machen. Jedes Kind ist anders und stammt aus einer neuen Konstellation, für die sich die Situation anders darstellen würde. Ich bin sehr daran gewöhnt und mir ist es sehr wichtig, möglichst in der Nähe meines Mannes und meines Kindes zu sein, insofern ist es für mich aktuell unvorstellbar. Ich bewundere meine Eltern für diesen Mut und diese Kraft: meinen Vater dafür, dass er alles in Argentinien verkauft hat und uns nach Europa gefolgt ist, und meine Mutter dafür, dass sie – zunächst alleine – diesen Schritt mit zwei kleinen Kindern getan hat. Ohne Geld und nur mit dem Talent ihrer Kinder. Wie berechnet man ein Talent? Wie gut ist es wirklich, dieses Talent? Man kann es tatsächlich gar nicht rechnen. Es ist ein Geschenk, wenn man ein Talent für etwas mitbekommt. Glücklicherweise hat meine Mutter dieses Geschenk verstanden und ist einfach dem gefolgt, was ich unbedingt machen wollte. Ich wollte nach Europa gehen mit zehn Jahren und meine Mutter hat diese Liebe zur Musik verstanden und gegen alle Widerstände unterstützt. Es ging dabei nicht um eine internationale und solistische Karriere ihrer Kinder, sondern darum, uns eine Zukunft mit der Musik zu geben.

Du spielst viel hier in der Region, u.a. auch demnächst wieder in Köln und Dortmund. Hast du einen Lieblingskonzertsaal hier?

In Dortmund habe ich vor vielen Jahren zum ersten Mal gespielt und dann neulich – vielleicht so zehn Jahre später – wieder. Insofern habe ich dort gar nicht so viel gespielt. Nach Köln bin ich hingegen kontinuierlich gekommen mit ganz vielen verschiedenen Programmen. Insofern kenne ich die Stadt also auch wesentlich besser und ebenso den Saal. Ich kann es gar nicht wirklich vergleichen: Es sind zwei völlig verschiedene Säle mit jeweils unterschiedlichem Charakter. Aber was ganz unglaublich ist in dieser Region ist das Publikum, das ihr hier habt. Es ist einfach phänomenales Publikum überall: Zuletzt in Dortmund mit der Staatskapelle Dresden und Daniele Gatti, dann wieder ein ganz warmherziges Publikum in Köln – wir haben dort mit Patricia Kopatschinskaja eine Uraufführung gespielt und das Publikum war hochinteressiert und begeistert. Ich glaube, das Glück ist einfach, in Deutschland klassische Musik spielen zu können. Das ist ein sehr wichtiger und zentraler Punkt für jeden von uns. Und es ist der Grund, weshalb ich immer wieder und gerne nach Deutschland komme: Man will dieses Publikum am Leben erhalten, auch auf die nächsten Generationen gesehen. Bei meinen Konzerten in Deutschland bin ich mir sehr darüber im Klaren, welches Glück es ist, hier spielen zu können.

Du spielst in Köln kurz hintereinander mit zwei verschiedenen Orchestern und spielst auch jeweils ein anderes Cellokonzert – was verbindet dich mit dem Orchester aus Tokio und was mit der Tschechischen Philharmonie?

In diesem Fall ist es tatsächlich ein totaler Zufall, dass ich so oft nach Köln und in die Region komme – und das dann auch noch mit zwei verschiedenen Orchestern und verschiedenen Werken. Mit dem Orchester aus Tokio spiele ich tatsächlich jetzt zum ersten Mal zusammen, weil wir vorher nie einen guten Termin für Japan gefunden haben – das wird dieses Jahr im Juli nun der Fall sein. Die Verbindung kommt vor allem über Paavo Järvi zustande, mit dem ich immer wieder zusammengearbeitet habe. Und es ist immer sehr spannend, mit jemandem zu kommen, der mit einem Orchester als Chefdirigent zusammenarbeitet. Die Verbindung ist dann eine ganz andere. Ich liebe es schon, mit Chefdirigenten und ihren eigenen Orchestern zu arbeiten und freue mich sehr auf diese Tournee. Zur Tschechischen Philharmonie habe ich eine längere Verbindung: Ich war immer wieder in Prag bei ihnen und habe auch schon eine größere Tournee gemacht. Besonders freue ich mich, hier auch mit Jakub Hrůša arbeiten zu können. Schon vor ungefähr zehn Jahren haben wir zusammengearbeitet, als er auch noch sehr jung war. Damals konnte man bereits erahnen, welche große Karriere er machen würde, und dieses Konzert war so genial, dass ich da schon wusste, dass ich gerne weiter mit ihm arbeiten würde. Das ist auch der Grund, weshalb wir jetzt zusammenarbeiten und ich im kommenden Jahr auch Artist in residence bei seinem Orchester, den Bamberger Symphonikern sein werde.

Wie stellst du dich bei solchen schnellen Wechseln auf jeweils neue Orchester und Werke ein oder um?

Das ist gar nicht so einfach, obwohl man es regelmäßig macht und das inzwischen schon seit vielen Jahren. Ich habe gelernt sehr produktiv zu sein, und damit meine ich nicht die Quantität. Wenn man Mutter ist, hat man immer weniger Zeit und so viel weniger Zeit, wie ich noch nie in meinem Leben hatte. Ich hatte das Glück, dass ich früher einen sehr klugen Lehrer hatte, der mir schon mit zwölf, dreizehn Jahren immer sagte, ich solle davon profitieren, dass ich jetzt Zeit hätte, denn mit zunehmendem Alter würde ich immer weniger haben. Damals dachte ich noch, das sei irgendwie absurd, denn ohne das Studium müsste ich ja mehr Zeit haben. Aber das Leben sieht natürlich anders aus. Ich musste lernen, in sehr wenig Zeit sehr effektiv zu sein. Und diese Effektivität bedeutet für mich, eben nicht mehr Konzerte zu spielen, sondern eher, mich selber besser kennenzulernen und zu wissen, wie viel Zeit ich brauche – für jedes Stück oder auch für jedes Projekt. In dem Fall jetzt ist der Kalender von Januar bis April sehr dicht, was ich eigentlich so nicht mehr mache, sich aber wie gesagt zufällig ergeben hat. Die Residenzen mit Bamberg und der Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann haben sich ergeben und ich habe beide Projekte freudig angenommen. Aber den Januar habe ich mir beispielsweise fast komplett freigenommen, um das Cellokonzert von Rihm zu lernen, das Ende Januar seine Uraufführung hatte. Ich wollte das Stück nicht nur lernen, sondern es fast im Blut haben. Gefühlt hat man ja so gut wie nie Zeit, aber ich habe festgestellt, wie viel Zeit ich früher verloren habe. Ich arbeite jetzt ganz anders, wenn ich weiß, dass mein Kind zwei Stunden nicht zu Hause ist. Ich habe eine genaue Vorstellung davon, was ich in dieser Zeit machen will, und es ist unglaublich, um wie viel ich produktiver und konzentrierter bin.

Du spielst gleichermaßen Kammermusik und bist als Solistin unterwegs – machst du etwas davon lieber bzw. was schätzt Du an beiden Sachen?

Im vergangenen Jahr hat die Kammermusik etwas weniger Platz gehabt als in anderen Jahren, in denen der Anteil ungefähr bei 50 Prozent lag. Am Anfang meiner Karriere habe ich vor allem Rezitale und weniger mit Orchester gespielt, inzwischen ist es umgekehrt. Aber trotzdem spiele ich immer noch viel Kammermusik, beispielsweise bei meinen Residenzen gemeinsam mit den Orchestermusikern und natürlich auch bei meinem eigenen Solsberg-Festival, das jedes Jahr im Juni stattfindet. Es ist sehr komplementär: Eine Sache ist der anderen zuträglich und es ist kaum zu vergleichen. Bei den Rezitalen gehe ich immer auf in verschiedenen Stilen und Epochen, weil es für mich eine große Herausforderung ist, wie ich ein solches Programm zusammensetze.

Wie gehst du bei der Zusammenstellung der Programme genau vor?

Es ist fast wie ein Puzzle: Am Anfang muss man die richtigen Stücke finden, dann die richtige Form und schließlich die Magie eines Programms: Was will ich mit den verschiedenen Stücken ausdrücken? Und da spielt natürlich alles rein, was ich gelernt habe, sowie meine Erfahrungen. Die Konstruktion eines Rezitals, so dass es funktioniert, ist also eine große Herausforderung: Es gibt noch andere Parameter, um das Publikum zwei Stunden am Ball zu halten – mehr Show und Theater –, aber mit denen will ich nicht arbeiten und daher sollte das Programm schlüssig sein und funktionieren. Die tägliche Herausforderung ist dann die, dass es eigentlich immer noch nicht reicht, ein gutes Programm zu machen, es gut zu spielen und eine gute Ausstrahlung auf der Bühne zu haben. Es braucht noch mehr, um ein Konzert zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Bei Orchesterkonzerten ist es ähnlich, aber viel fokussierter: Wir spielen in der Regel nur circa 20 bis 25 Minuten und es ist meistens in sich schon schlüssiger und vorhersehbarer, was das Resultat betrifft. Beim Rezital liegt viel mehr in unseren Händen, was bei einem Orchesterkonzert schon vorgegeben ist.

2020 ist das große Beethoven-Jubiläum, das weltweit gefeiert wird. Ein Cellokonzert von Beethoven gibt es leider nicht – findet sich Beethoven auch auf deiner Agenda in diesem Jahr mit seiner Kammermusik?

Dieses Jahr spiele ich sehr viel Beethoven, vor allem das Tripelkonzert. Ich habe in diesem Jahr auch eine Carte blanche in Lugano mit dem Orchestra della Svizzera Italiana, bei der Kristian Bezuidenhout und Vilde Frang mitwirken werden mit einem ganz besonderen Konzept. Und dabei werden wir auch einen Schwerpunkt bei Beethoven setzen.

Was sind deine nächsten Pläne?

Eine der großen Herausforderungen in diesem Jahr war das Cellokonzert von Wolfgang Rihm, mit dem die Zusammenarbeit eine ganz Besondere war. Dann freue ich mich ungemein auf die beiden erwähnten Residenzen. Ansonsten stehen Lugano und natürlich auch mein eigenes Festival Solsberg an. Auf Japan freue ich mich sehr, weil ich auch einige Jahre nicht mehr dort war. Neue CDs werden auch kommen, aber darüber kann ich noch nicht viel erzählen.

S. Gabetta, NHK Symphony Orchestra, Tokyo, P. Järvi: Bruckner, Schumann, Takemitsu | Fr 28.2. 20 Uhr | Kölner Philharmonie | 0221 280 280

S. Gabetta, NHK Symphony Orchestra, Tokyo, P. Järvi: Bruckner, Schumann, Takemitsu | Sa 29.2. 20 Uhr | Konzerthaus Dortmund | 0231 22 696 200

S. Gabetta, Tschechische Philharmonie, J. Hrůša: Dvořák, Janáček, Suk | Mi 4.3. 20 Uhr | Kölner Philharmonie | 0221 280 280

Interview: Verena Düren

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