Für Uniformen hat sich Reut Shemesh immer interessiert. Genauer gesagt ist es nicht die Uniform selbst, die die Choreographin fasziniert, sondern das, was sie aus den Menschen macht. Reut Shemesh wurde in Tel Aviv geboren und lebt in Köln, wo sie an der Kunsthochschule für Medien ihr Diplom erwarb. Für Aufsehen sorgte sie 2021 nicht nur im Rheinland mit ihrer Produktion „Cobra Blonde“, bei der sie den Gardetanz einer Gruppe Düsseldorfer Karnevalistinnen auf die Bühne der Tanzkunst brachte. Das war praktizierter Feminismus, der jungen Frauen Respekt für ihre in der Freizeit erbrachte Leistung zollte und dabei wunderbar ironische Akzente in der Beziehung zwischen Individuum und Gruppe setzte.
Nun geht es an die Männer. In diesem Frühjahr stellt Reut Shemesh ihre neue Produktion „Ultra“ vor. Entstanden ist die Arbeit im belgischen Leuven gemeinsam mit Hooligans. „Auch die Hooligans haben einen Dresscode, der sich über Sneakers, Jeans und Frisur organisiert“, erklärt sie. Wie die Uniform den Menschen Halt verleiht, das lässt sich in den Choreographien der Israelin gut beobachten. Eine geradezu hellsichtige Dimension enthielt ihre Choreographie „Leviah“, für die sie 2016 den Kölner Tanztheaterpreis gewann. Hier befasst sie sich mit dem Sexismus, den sie selbst als Soldatin in der israelischen Armee erlebt hatte. Im Herbst waren es junge Soldatinnen, die vor einem Angriff der Hamas am Gaza-Streifen gewarnt hatten. Nur schenkte die Armeeführung ihren Beobachtungen keinen Glauben.
Auf die Frage, wie sie mit den Ereignissen seit dem 7. Oktober umgeht, erzählt sie von der psychischen Last, die sich auf ihren Alltag gelegt hat. „Was geschehen ist, ist traurig für den gesamten Nahen Osten. Wir sind gefangen in einem Loop aus Trauer und Rache.“ Dass sie eines morgens wach wurde und dachte, „ich gehörte jetzt zu einer der meist gehassten Menschengruppen dieser Welt“, hat ihr Leben verändert. „Jeder Schritt muss nun genau überlegt werden. Mit wem unternehme ich was und warum? Es gibt keine Selbstverständlichkeit mehr“, sagt sie.
Eine erstaunliche Stringenz durchzieht die Arbeiten von Reut Shemesh, in denen sie das Individuum sichtbar macht, bevor es vom Zwang der Gruppe vereinnahmt wird. Man darf gespannt darauf sein, wie sie in „Ultra“ diesem Thema eine neue Wendung gibt.
Ultra | Tanzhaus NRW, Düsseldorf | 16., 17. 2. | Tanzfaktur, Köln | 11., 12.4.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Jenseits von Stereotypen
„We Love 2 Raqs“ in Dortmund – Tanz an der Ruhr 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Gegenwart einer Gegenkultur
„Pump Into The Future Ball“ in der Jahrhunderthalle Bochum – Tanz an der Ruhr 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Körperpolitik und Ekstase
„Tarab“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23
Tänzerinnen als „bad feminist“
tanz.tausch in Köln – Tanz in NRW 08/23