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Alle reden von Chlorhühnchen, aber Risiken lauern auch woanders
Foto: Laura Schleder

„Moralische und ethische Standards werden einfach weggefegt“

25. September 2014

Ex-Umweltministerin Bärbel Höhn über ihre Probleme mit dem Freihandelsabkommen TTIP – Thema 10/14 Freier Handel

trailer: Frau Höhn, die EU-Kommission hat abgelehnt, dass es eine Bürgerinitiative gegen das TTIP gibt. Es sei kein europäisches Gesetz, sondern gehe um Verhandlungen. Was halten Sie davon?
Bärbel Höhn:
Ich finde das erschreckend. Es zeigt, wie undemokratisch und intransparent dieser Prozess ist. Die Bürger haben praktisch keine Infos bekommen. Jetzt ist einiges ans Licht gekommen, da haben sie gesehen, was das TTIP für negative Auswirkungen haben kann. Sie wehren sich, aber ein Begehren wird abgelehnt. Das setzt allem noch die Krone auf, wie die EU da agiert. Am Ende führt das nur zu noch mehr EU- und Politikverdrossenheit.

Sie haben gesagt, je mehr Sie sich mit TTIP beschäftigen, umso größer ist Ihr Entsetzen.

Bärbel Höhn
Foto: Presse
Bärbel Höhn (60) ist Stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Wenn wir mit Vertretern der EU reden, sagen die, es wird den bestmöglichen Standard auf jeder Seite geben. Das hört sich gut an. Wenn man aber die Texte liest, stimmt das einfach nicht. Entweder sagen sie bewusst etwas falsches, oder sie sind naiv. Beides wäre schlimm. Ich glaube, es gibt bei diesen Verhandlungen ein Strukturproblem. In der Handelskommission der EU sitzen Neoliberale, die sich keine Gedanken über Verbraucherschutz, Umweltschutz oder soziale Standards machen.

Sind Sie eigentlich komplett gegen das Abkommen?

Wir Grünen wollen die Verhandlungen neu starten. Generell sind Freihandelsabkommen sinnvoll. Stellen Sie sich vor, wir hätten ein einheitliches Maß. Nicht mehr gallons in Liter oder miles in Kilometer umrechnen zu müssen, wäre optimal. Aber das kriegen wir ja nicht mal auf EU-Ebene hin. Das Problem am TTIP ist auch, dass moralisch-ethische Standards einfach weggefegt werden können, zum Beispiel das Vorsorgeprinzip, mit dem Umweltschäden verhindert werden sollen, oder das Verbot von Gentechnik in Lebensmitteln.

Welche Folgen für die Umwelt befürchten Sie durch das TTIP?

Wir wissen von Umweltverbänden in Kanada und in den USA, dass das Abkommen NAFTA dazu geführt hat, dass seither in Kanada de facto keine neuen Umweltstandards eingeführt wurden. Vorher muss der Partner gefragt werden, ob eine Regelung im Sinne des Abkommens ist. Und dann wird pro Abkommen entschieden – es soll ja ohne Schranken sein. Das führt dazu, dass man bei neuen Technologien wie dem Fracking den Umweltschutz nicht entsprechend mit einbringen kann.

Haben Sie Angst, dass Fracking auch in Europa erlaubt werden könnte?

Ja, aufgrund der Erfahrungen beim NAFTA. Die kanadische Provinz Quebec hat wie Nordrhein-Westfalen ein Moratorium erlassen, nach dem Fracking nicht erlaubt ist. Ein Unternehmen hat dagegen auf entgangene Gewinne geklagt. Jetzt will es 250 Millionen Dollar als Entschädigung, die Entscheidung steht noch aus. Die Gefahr ist ganz real, dass es finanzielle Risiken für Länder und Bundesländer gibt, wenn sie Auflagen erteilen. Es wird so natürlich schwieriger, Auflagen durchzusetzen, wenn TTIP erst einmal verabschiedet ist.

Sie kritisieren, dass Investoren durch private Schiedsgerichte geschützt werden sollen.

Diese Schiedsgerichte liegen außerhalb unserer Gerichtsbarkeit. Ich finde es absolut in Ordnung, dass Unternehmen vor staatlichen Gerichten gegen Auflagen klagen können. Die Wirtschaft schafft sich aber eine neue Gerichtsbarkeit, die über der staatlichen steht. Außerdem werden Richter vielleicht häufiger mal für Unternehmen entscheiden, damit sich Klagen lohnt. Anwälte in den USA haben sich bereits darauf spezialisiert, Verträge so aufzusetzen, dass Firmen hinterher klagen können.

Spüren Sie, dass der Ärger über das Abkommen auch in der Bevölkerung wächst?

Wenn die Auswirkungen in einigen Jahren klar werden, wird es einen riesigen Aufschrei geben. Einige wissen schon heute gut Bescheid und sehen die großen Probleme. Ein großer Teil der Bevölkerung wird erst aufwachen, nämlich dann, wenn die Konsequenzen sichtbar werden.

Haben die EU-Politiker das mittlerweile auch erkannt?

Eindeutig, auch im Parlament. Es gibt neben den Grünen auch viele Mitglieder anderer Fraktionen, die die Verhandlungen bedenklich finden. Wenn dann aber zum Beispiel jetzt die Bürgerinitiative abgelehnt wird, frage ich mich, „hat die Kommission denn gar nichts verstanden?“.

Fanden Sie es richtig, dass Mitglieder der Grünen geheime Unterlagen zu TTIP veröffentlicht haben?

Natürlich, es war ein wichtiger symbolischer Akt. Das Verhandlungsmandat ist allerdings so allgemein formuliert, dass ohnehin nichts gegen die Veröffentlichung gesprochen hätte.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem TTIP und dem Freihandelsabkommen mit der Ukraine, das bis 31. Dezember 2015 ausgesetzt wurde?

Die Ukraine wird in den nächsten Jahren europäische Standards übernehmen. Da geht es nicht um weniger, sondern um mehr und umfassendere Regeln. Das ist ein Schritt in Richtung größerer Binnenmarkt. Gleiche Spielregeln für alle ist das Ziel. Problematisch ist hier, ob die sehr weitreichenden EU-Standards ukrainische Firmen überfordern. Die Ukraine kann aber jetzt erst einmal bis Ende 2015 ohne Zölle in die EU exportieren. Umgekehrt geht das nicht.

Wie wichtig ist der Anschluss der Ukraine an Europa als Zeichen?

Wenn die Ukraine das will, ist es richtig. Das Land hat wie Finnland eine Brückenfunktion. Wir werden den Konflikt mit Russland nur dann langfristig lösen können, wenn wir beiden Seiten eine Perspektive bieten können. Der Konflikt darf kein Dauerzustand werden.

INteRvIew: FloRIAN SchMItz

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