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Holm Putzke
Foto: Stefan Gruber

„Kein Täter darf sich sicher fühlen“

29. Mai 2019

Rechtswissenschaftler Holm Putzke über die Aufklärung der Missbrauchsfälle

trailer: Herr Putzke, die Bischofskonferenz hat eine Aufklärung über die Missbrauchsfälle versprochen. Wie zufrieden sind Sie als Rechtswissenschaftler damit?
Holm Putzke: Es gibt für die Kirche rechtlich gesehen keine Pflicht, bei einem Verdacht bezüglich einer begangenen Straftat Anzeige zu erstatten. Unabhängig davon sollte gerade die Kirche ein gesteigertes Interesse daran haben, institutionell als vertrauenswürdig zu gelten, was bei einem Straftatverdacht zwingend Transparenz und eine unbedingte Kooperation mit staatlichen Behörden voraussetzt.

Offenbar stehen zwei Optionen im Raum: diplomatisch mit den Kooperationsangeboten der Bistümer umgehen oder strafrechtlich durchgreifen.
Der Umgang darf und sollte sich nicht vom Vorgehen bei sonstigen Beschuldigten oder Zeugen unterscheiden. Eine irgendwie geartete Sonderbehandlung der Kirchen ist nicht gerechtfertigt und unangebracht.

Sie selbst haben mit einer Gruppe von Rechtsprofessoren eine Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt, um den Druck auf die Kirche zu erhöhen.
Unser Ziel war es vor allem, den Druck auf die Ermittlungsbehörden zu erhöhen, weil wir den Eindruck hatten, dass trotz konkreter Hinweise auf gravierende und noch verfolgbare Straftaten nichts passiert. Seitdem haben zahlreiche Staatsanwaltschaften Ermittlungen aufgenommen und auch zahlreiche Bistümer relevante Akten herausgegeben. Genau das wollten wir erreichen.

Wie sieht eine vollständige rechtliche Aufarbeitung aus?
Wie lange die Aufklärung und etwaige Strafverfahren dauern, lässt sich pauschal nicht sagen. Es ist ja auch möglich, dass mutmaßliche Täter oder Opfer Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen einlegen, was zwangsläufig die Dauer von Strafverfahren verlängert. Es ist auch keineswegs gesagt, dass alle Ermittlungen zu Strafverfahren oder gar zu Verurteilungen führen. Zum einen ist es nicht auszuschließen, dass Personen zu Unrecht bezichtigt werden. Zum anderen bedarf es für eine Verurteilung einer gerichtlichen Überzeugung von Täterschaft und Schuld, was von der Beweislage abhängt.

Manchmal stellt die Staatsanwaltschaft die Prozesse wegen Verjährung ein. Ist dieser Rechtsbegriff angemessen, angesichts der jahrelangen Traumatisierung der Opfer, die lebenslang mit psychosozialen Folgen zu leben haben?
Dass Straftaten irgendwann verjähren, ist gut und richtig. Das mag aus Opfersicht zwar ungerecht und unbefriedigend erscheinen, dient aber vor allem dem Rechtsfrieden. Das gilt auch für Straftaten, die für Opfer lebenslange negative Folgen haben. Beim Verdacht des schweren sexuellem Missbrauchs von Kindern sollte die Frist allerdings so lang sein, dass kein Täter sich selbst nach Jahrzehnten sicher fühlen darf. Aber irgendwann ist es legitim, dass Straftaten verjähren – immerhin haben Opfer viele Jahre Zeit, Strafanzeige zu erstatten, und im Übrigen wird die Beweislage nach Jahrzehnten des Wartens auch nicht besser.

Den Opfern wird angeboten, bei der Bonner Bischofskonferenz einen Antrag auf Anerkennung von Leid zu stellen. Von 1.000 bis 15.000 Euro ist die Rede.
Die bisher angebotenen Beträge für Opfer sind lächerlich. Immerhin hat Kirchenpersonal flächendeckend jahrzehntelang Kinder missbraucht. Die Kirche sollte im eigenen Interesse alles dafür tun, dass der Umgang mit Opfern die Bezeichnung „Wiedergutmachung“ wenigstens ansatzweise verdient.

Vernachlässigt der Staat dabei seine rechtliche Verantwortung für die Bürger, wenn er die Kirche bloß weiter walten lässt?
Wenn Strafverfolgungsorgane bei einem Anfangsverdacht einer Straftat nicht tätig werden, verhalten sie sich rechtswidrig und die verantwortlichen Personen machen sich selber strafbar wegen Strafvereitelung im Amt, nach Paragraph 258a StGB. Dass die in der „Missbrauchsstudie“ genannten Tatsachen einen Anfangsverdacht begründen, haben die Autoren Jörg Scheinfeld und Sarah Willenbacher in dem Aufsatz „Anfangsverdacht bei Anzeige gegen Unbekannt – Klerikaler Kindesmissbrauch und Legalitätsprinzip“ dargelegt, der kürzlich in der juristischen Fachzeitschrift „Neue Juristische Wochenschrift“ erschienen ist.

Und wie kann eine konkrete, strafrechtliche Aufklärung all dieser Fälle aussehen?
Ganz einfach: Die Staatsanwaltschaften fordern, soweit noch nicht geschehen, die Bistümer auf, sämtliche vorhandenen Unterlagen herauszugeben, die im Zusammenhang mit der „Missbrauchsstudie“ stehen. Kooperieren die Bistümer nicht, wäre es rechtmäßig und auch richtig, das relevante Beweismaterial bei einer Durchsuchung der Kirchenarchive zu beschlagnahmen.


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