Lange sei es her, dass sie das letzte Mal protestiert habe, erinnert sich Elisabeth Hartmann-Kulla. Das sei damals bei den Ostermärschen gewesen. Auch die Ehrenamtliche Maria Berberich muss schmunzeln: „Da waren wir noch Studenten“. An diesen Tagen protestieren beide wieder. Nicht gegen Krieg und Aufrüstung. Wie einige andere aus der Pfarrei St. Gertrud, protestieren sie vom 11. bis 18. Mai mit verschiedenen Aktionen gegen bestehende Ungerechtigkeiten innerhalb der katholischen Kirche.
Ihre Forderungen: Aufklärung der Missbrauchsfälle, weg mit dem verpflichtenden Zölibat und Gleichberechtigung innerhalb der katholischen Kirche. So sollen auch Frauen ein Diakonat oder Priesteramt bekleiden dürfen. Mit ihrer Aktionswoche knüpfen die Wattenscheider Gemeindemitglieder an die Initiative „Maria 2.0“. an. Diese begann zunächst als Lesekreis. Bis die Frauen nach der Lektüre ins Gespräch kamen und sich regelmäßig fragten: Wie erklären wir Außenstehenden eigentlich die schlimmen Straftaten, die in den letzten Jahren aufflogen? Und warum bestehen trotz einer signalisierten Reformbereitschaft noch immer die gleichen, patriarchalischen Strukturen in der Kirche? Stillschweigend auszutreten, war für die Frauen keine Option. Blieb nur eine Wahl: kämpfen. Neben der Pfarrei St. Gertrud schlossen sich auch Gemeinden aus Gladbeck, Oberhausen oder Essen an.
Elisabeth Hartmann-Kulla schätzt diese erste Protestwoche realistisch ein: „Die Bischöfe werden nicht sagen, dass wir das jetzt so machen, wie wir es fordern. Aber wir werden nicht nachgeben.“ In diesem Zusammenhang scheut die Begräbnisseelsorgerin auch kein Bekenntnis zum Feminismus. Ihr gehe es um Gleichberechtigung: „Wir Frauen halten doch die Kirche lebendig. Viele sind Theologinnen, haben aber nicht die gleichen Rechte“, sagt die 65-Jährige. „Das Argument, Jesus war ja ein Mann, ist doch für die Tonne.“ Als Ausschluss von Männern will sie das jedoch nicht verstanden wissen: „Ich halte mich für feministisch, nicht für militant“. Denn männliche Mitglieder unterstützen ebenso die Forderungen und nehmen am Protest teil, wie sie erzählt: „Das zieht bei ihnen auch Unmut.“
Gemeinsam bereiten sie an diesem Montagmorgen alles für den Protest vor. Noch eine Woche bleibt bis zum Streikbeginn. An einem Türrahmen hängt ein Zettel mit der Aufschrift „Streichraum“. Mit Pinseln wird über das Transparent gestrichen. Bis der Slogan sichtbar ist: „Wir streiken!“ Die Ehrenamtlichen legen in dieser Woche ihre Arbeit nieder. Angebote wie das Beratungscafé fallen aus. Auch das Kolumbarium wird abgeschlossen, was nicht bei allen Angehörigen auf Gegenliebe stößt. Denn im Laufe der Woche erhalten sie keinen Zugang zur Urnenkammer.
Ein Gottesdienst findet dagegen wie geplant am 16. Mai statt. Allerdings vor den Toren der Kirche. Mit einem 350 Meter langen, weißen Band wollen die Ehrenamtlichen an einem Aktionstag zudem das Gebäude quasi umarmen. „Wir wollen damit deutlich machen, wie wichtig uns die Kirche ist“, erklärt Hartmann-Kulla, die selbst einen weißen Schal trägt.
In der Aktionswoche werden weitere Schals verteilt. Alle weiß. Eine Farbe, die sinnbildlich für Unschuld, Trauer aber auch Hoffnung stehe. Genau das verbinde Hartmann-Kulla wie viele andere Ehrenamtliche mit ihrem Protest. „Wenn man sich anschaut, was sich in der Kirche geändert hat, bemerkt man, dass es immer lange dauerte.“ Ob sie einen Wandel zu einer gleichberechtigten Kirche noch miterleben wird? Sie klingt da eher skeptisch, und ergänzt: „Aber vielleicht erleben es ja meine Kinder und Enkel.“
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