Zugegeben: Es ist wahrlich nicht alles spitze, was die Fernsehanstalten rund um die Uhr so über den Äther schicken. Aber es gibt hin und wieder Highlights, fiktional oder dokumentarisch, und solche Highlights nennt man dann Großes Fernsehen. Vom 5. bis zum 8. Juni fanden die TV-Highlights der nächsten Monate im Rahmen des Festivals Großes Fernsehen ihre deutsche Uraufführung im Cinedom.
Da blitzt durchaus ein wenig Ironie durch, wenn parallel zum Indiana-Jones- Revival RTL ein TV-Abenteuer ins Multiplex bringt, in dem sich ein smarter Abenteurer mit Frau und Kumpel quer durch Deutschland auf die Suche nach dem Nibelungenschatz macht. Während sich Indiana Jones zunehmend spannungsarm durch den peruanischen Dschungel peitscht, gelingt dem temporeichen RTL-Film ein freches, und hierzulande angesichts des Genres vor allem mutiges Stück Film. „Das macht einfach Spaß, und ich finde es schade, dass man in Deutschland so wenig Genre macht“, klagt da selbst Darsteller Fabian Busch, der sich bisher eher in Independent-Produktionen einen Namen gemacht hat. Fürwahr setzt RTL mit seinem Nibelungen-Abenteuer innerhalb der auf Komödien und Drama ausgerichteten deutschen Filmproduktion durchaus neue Akzente und zeigt, dass es funktioniert.
Die Jagd durch die Republik ist natürlich stereotyp und kann sich als „kleine“ Fernsehproduktion in gewissem Maße der erhöhten Erwartung einer Filmkritik entziehen: Großes Fernsehen im Kino muss nicht bindend Großes Kino sein - und kann dennoch überzeugen. Trotzdem will sich die Nibelungen-Jagd messen mit dem Kinovorbild, und das gelingt vor allem, weil sich die Filmemacher angenehmerweise selbst nicht so ernst nehmen und dem vergleichbar kleinen Budget und der fehlenden Tiefenschärfe Figuren, Spannungsbögen und Dialoge entgegen setzen, die so mancher Hollywood-Blockbuster heutzutage schmerzlich vermissen lässt.
Helden, so zeigt uns das Große Fernsehen, wachsen auch ohne hohes Budget zu Legenden. Schon einen Abend später rüpelte sich Götz George (69) noch einmal als Horst Schimanski durch den Pott, der ebenso wie Harrison Ford seine schon von Beginn an unsterbliche Figur augenzwinkernd ins hohe Alter fortführt. Beide Figuren wurden 1981 etabliert, beide Darsteller überzeugen noch heute fern der 65 mit ihren Rollen. Doch während man in Hollywood beängstigend beständig gewitzte Dialoge und filmfüllende Spannungsbögen vermisst, sind es hierzulande TV-Genrefilme, die sich ihrem Budget optisch fügen, dafür aber umso besser als kurzweilige, abendfüllende Events bestehen.
Dokumentar-Highlight war in diesem Jahr die WDR-Produktion „Chinas Grössenwahn am Yangtse“. Die äußerst kritische Sendung bereiste den bis 2009 auf über 70 Meter hochgestauten Fluss, die Regisseure Thomas Weidenbach und Shi Ming beleuchten die Umsiedelungsmaßnahmen und Gefahren, die der Staudammbau birgt. Sendetermin ist der 28. Juli, und damit liegt die Ausstrahlung der Sendung vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking.
Stärken des Programmsystems wollte man auf dem Festival präsentieren und einen Austausch schaffen zwischen Programmgestaltern, Publikum und Kritik. „Noch nie waren Fernsehapparate zu Hause so groß wie heute, noch nie waren Kinder so dick wie heute, noch nie war Benzin so teuer wie heute - sprich: Die ganze Nation sitzt eigentlich zu Hause auf dem Sofa und warten darauf, dass wir ihnen irgendwie Unterhaltung liefern“, sagt Produzent Stefan Raiser von Dreampool Entertainment. Das Festival Großes Fernsehen zeigte auf ein Neues, das „irgendwie“ nicht immer bloß irgendwas sein muss.
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