Da ist der oftmals kritisierten RUHR.2010 GmbH ein großer Wurf gelungen: Die renommierte Europäische Filmwoche wird als sogenannter Vorbote des Kulturhauptstadtjahres 2010 Anfang Dezember an die Ruhr geholt. Veranstalter der Filmwoche mit der offiziellen Verleihung des 22. Europäischen Filmpreises ist die European Film Academy und die zugehörige Produktionsfirma EFA Productions. Förderer des Großereignis sind neben der ausrichtenden RUHR.2010 GmbH der NRW-Ministerpräsident, der Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes NRW sowie selbstverständlich die Filmstiftung NRW. Große Namen sind tatsächlich auch Programm, denn der wichtige Filmpreis, der zum mittlerweile 22. Mal ausgelobt wird, lockt Filmschaffende von höchstem Rang aus ganz Europa in die Region. Was das Kinofest Lünen, das Ende November ebenfalls die Ruhrregion erstrahlen lassen wird, für den deutschsprachigen Film bedeutet, das hat sich die EFA für den europäischen Film auf die Fahne geschrieben.
Gelebte Vielfalt
1988 wurde die EFA vom schwedischen Regisseur Ingmar Bergman in Berlin gegründet. Das alljährliche Highlight der Akademie, die Filmpreisverleihung, wird inzwischen in 44 Ländern im Fernsehen übertragen. An sechs Tagen werden die gut 25 nominierten Filme in zahlreichen Kategorien von „Europäischer Film 2009“ über „Europäisches Drehbuch“ bis hin zu „Debütfilm 2009“ ausgezeichnet. Verantwortlich zeichnet eine Jury aus über 2.000 EFA-Mitgliedern – allesamt Filmschaffende. Das Publikum kommt aber bei aller Fachsimpelei nicht zu kurz und erhält die Möglichkeit, die ausgewählten konkurrierenden Filme in neun verschiedenen Kinos in sechs Städten selbst zu begutachten – oder einfach nur zu genießen. Unter den Filmen finden sich einige Ruhr-Premieren und manch bereits gestarteter Film wie Almodóvars „Zerrissene Umarmungen“ oder Danny Boyles „Slumdog Millionaire“, aber eben auch der britische Beitrag „Fish Tank“ von Andrea Arnold, nominiert für den Besten Film. Die austragenden Kinos liegen über das Ruhrgebiet breit verteilt, auch hier wird der Metropol-Gedanke gelebt. Mit der Lichtburg in Oberhausen, der Dortmunder Schauburg, Endstation und Metropolis in Bochum, dem Duisburger Filmforum und den zwei Essener Kinos Lichtburg und Astra sind unterschiedlichste Säle für jeden Geschmack ausgewählt. Hinzu kommen, ein wenig erstaunlich, das Filmforum im Museum Ludwig und die Filmpalette, beide in Köln – wohl weil das Gros der NRW-Filmschaffenden selbst in Köln ansässig ist.
Legendäre Kulissen
Der Höhepunkt der Filmwoche findet aber da statt, wo es seiner würdig ist: Die Filmgala steigt am Freitag, 11. Dezember im größten und sicherlich schönsten Filmpalast Deutschlands, in der legendären Essener Lichtburg. 1928 gegründet hat das mondäne Filmtheater sich gerade in den letzten Jahren zu einem oft gebuchten Premierenkino mit namhaften Gästen entwickelt: Der rote Teppich ist quasi dauerinstalliert. Zur Filmgala werden diesen zahlreiche Nominierte und Filmstars wie der britische Regisseur Ken Loach, der diesjährige Ehrenpreisträger, bevölkern. Ken Loachs aktuelle Komödie „Looking for Eric“ wird an diesem Abend auf ganz großer Leinwand präsentiert. Bei diesem sicher rauschenden Fest wird manch möglicher Preisträger wie auch das Publikum schon einmal einen Vorgeschmack auf die sämstägliche Abschlussveranstaltung bekommen. Am 12.12. erfolgt in Anwesenheit von 1.400 Gästen in der Bochumer Jahrhunderthalle die offizielle Preisverleihung. Als wohl einzige müssen die Ehrenpreisträger Ken Loach und die französische Filmlegende Isabelle Huppert nicht mehr aufgeregt sein. Die Gaskraftzentrale des ehemaligen Bochumer Stahlwerks erscheint angesichts ihres Industriedenkmaldaseins und der kulturellen Strahlkraft auf die Region angemessen.
Filmkultur leben
Überhaupt mag es fast verwundern, dass die Region, sicherlich dank des Kulturhauptstadtstatus, erst zum ersten Mal Gastgeber eines Filmfestivals dieser Größenordnung ist. Vermutlich nirgendwo sonst in Europa ist die Dichte an (zumindest potentiell) Filminteressierten, überaus geeigneten Vorführorten und sonstiger Infrastruktur so hoch wie in der Metropolregion. Gerade die zentrale Lage in Europa und die direkte Beteiligung des Publikums, die kurzen und unkomplizierten Wege prädestinieren das Ruhrgebiet für Veranstaltungen dieses Rangs. Dem haben sich auch die Initiatoren seitens der RUHR.2010 GmbH verschrieben und nutzen dieses Argument, die Beteiligung und das Engagement des heimischen Publikums herauszufordern: „Es war und wichtig, dass wir das Großereignis „Europäischer Filmpreis“ auch mit einem verbesserten Zugang der Bevölkerung zur europäischen Filmkultur verbinden“, verlautbarte Prof. Dieter Gorny, der Künstlerische Direktor von RUHR.2010. Und, ganz nebenbei, so viel Glanz und Gloria kann dem bisweilen bemängelten Kulturhauptstadtprojekt im Vorfeld nur von Nutzen sein.
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